Griechische Grundschulen entdecken die historische Wahrheit

Es regt sich etwas in Griechenland. In den Volksschulen erhalten Kinder zum ersten Mal ein einigermaßen genaues Bild davon, wie sich das Christentum in Griechenland ausgebreitet hat. Möglich macht dies das Geschichtsbuch für die fünfte Klasse der Volksschule, das fortan Teil des landesweiten Lehrplans sein soll. Anscheinend ist das Narrativ über den friedlichen Siegeszug des Christentums (eine Geschichte oder eher Lüge, mit der wir alle aufgewachsen sind) brüchig geworden. Denn zum ersten Mal überhaupt halten wir ein griechisches Schulbuch in unseren Händen, das die christliche Gewalt gegen den Hellenismos anspricht. Davor gab es nur hie und da subtile Andeutungen, wenn überhaupt.

Zur Einordnung: die griechische Volksschule («Dimotiko Scholio») entspricht der deutschen Grundschule. Sie umfasst sechs Stufen oder Klassen und dauert sechs Jahre. Nach der Volksschule folgt das «Gymnasio», das drei Stufen umfasst und für die Sekundarbildung zuständig ist. Nach dem «Gymnasio» können die Schüler die weiterführende oder höhere Sekundarschule besuchen. Diese heißt «Lykeio» und umfasst ebenfalls drei Stufen. Kinder, welche die fünfte Klasse der Volksschule besuchen, sind in der Regel zehn Jahre alt. Die Schüler kommen also bereits im jungen Alter mit der Verfolgung des Hellenismos in Berührung. Die Intensität der Gewalt ist relativ realistisch dargestellt. Wie lange das neue Lehrbuch Kapitel in den Schulregalen liegen wird, bleibt demnach abzuwarten.

So zeigen Bilder im Schulbuch, wie «fanatische Christen antike Stätten zerstören» (siehe Bild). Auch ein Auszug aus der bekannten Rede des hellenischen Gelehrten Libanios an Kaiser Theodosius ist im Buch enthalten. Darüber hinaus heißt es im Lehrbuch:

«Kaiser Theodosius machte das Christentum zur offiziellen Religion und ergriff harte Maßnahmen gegen die Religion der Ethniker*:

  • er ließ die alten Tempel schließen, verbot den Kult der alten Götter und verfügte per Gesetz äußerst harte Strafen für die Zuwiderhandelnden.
  • Er verbot die Olympischen Spiele (392 n.Chr.), die Mysterien von Eleusis und er schloss das Orakel von Delphi.
  • Er tolerierte die Zerstörung und Plünderung antiker Tempel, Stätten und Kunstwerke durch fanatische Christen.»

Aber die gute, alte christlich-orthodoxe Propaganda durfte natürlich auch hier nicht fehlen. Alles andere wäre undenkbar. So lesen die Kinder zunächst den Abschnitt über die Verbrechen des Theodosius an ihrer anzestralen Religion, um unmittelbar danach folgendes zu lernen: «Letztlich setzte sich jedoch das Christentum mit seiner Lehre und dem Werk der Kirchenväter durch. Einen besonderen Beitrag zur friedlichen Verbreitung des Christentums leisteten die drei Hierarchen Basilius der Große, Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomos, welche die altgriechische Bildung mit den Lehren der neuen Religion kombinierten.»

Damit endet das ohnehin äußerst kurze Kapitel über die Verfolgung des Hellenismos. Das Wort «Ethnozid» kommt im Buch nicht ein einziges Mal vor, die Massenmorde werden ebenfalls nicht erwähnt, die Verfolgung des Hellenismos selbst wird auf die Gewaltexzesse einzelner Fanatiker reduziert. Und so endet das, was mit einer Wahrheit begann, mit einer Lüge. Allerdings liefert dieses Propagandastück ein perfektes Beispiel für die Widersprüche, die für die neuere griechische Identität so typisch sind. Mehr noch, es zeigt, wie und weshalb diese Widersprüche entstehen. Aber viel wichtiger ist, dass dieser komisch-tragische Versuch, das Narrativ von der «friedlichen Ausbreitung» des Christentums zu retten, die Unglaubwürdigkeit und Vernunftwidrigkeit des griechischen Staates und der orthodoxen Theokratie demonstriert. Von Aussagenlogik ist weit und breit nichts zu sehen. Seit der Gründung des modernen griechischen Staates im Jahr 1830 sind so viele Jahre vergangen, die Menschheit ist zum Mond geflogen – und das orthodoxe Establishment ist immer noch nicht in der Lage, ein einigermaßen zusammenhängendes Narrativ auf die Beine zu stellen.

Aber trotz dieses und anderer Propagandastücke müssen wir von einem Fortschritt sprechen. Aus diesem Grund begrüßt die Bewegung griechischer Bürger für die Säkularisierung des Staates (KEPEK), die sich für die Trennung von Kirche und Staat einsetzt, diesen Schritt hin zu mehr «historischer Genauigkeit». Schließlich handelt es sich dabei um einen kleinen Schritt nach vorne. Allerdings ist dieser Fortschritt allein auf die Aktivitäten einzelner Menschen und Organisationen zurückzuführen. Es ist ein Fortschritt, ein Zugeständnis, das dem Staat und der Theokratie abgerungen wurde.

Viele Jahre wurde insbesondere den ethnischen Hellenen gesagt, dass ihre Bemühungen umsonst seien, sie mit ihren Aktionen nichts erreichen werden. Doch die Dinge scheinen sich zu ändern. Ein neues Buch des griechischen Historikers Tasos Zachariou wird im nächsten Monat im griechischen iWrite-Verlag veröffentlicht. Der Titel lautet: «Die fällige Entschuldigung». Thema des Buches ist die Verfolgung des Hellenismos in der späteren Antike, aber der Hellenismos des Mittelalters und die Gestaltungsgeschichte der neueren griechischen Identität werden ebenfalls adressiert. Das Buch wird bereits jetzt als Hit gehandelt und dürfte eine neue Debatte über die Beziehungen zwischen Christentum und Hellenismos sowie über den Umgang Griechenlands mit der Geschichte entfachen.

Der griechische Staat kann sich die «Mauer des Schweigens» nicht länger leisten. Dafür befinden sich mittlerweile zu viele Videos, Artikel und Bücher im Umlauf, einschließlich der mehrbändigen «Kriminalgeschichte des Christentums» des deutschen Historikers Karlheinz Deschner. Dies zeigt, dass unsere Bemühungen nicht umsonst waren. Und das werden sie auch in Zukunft nicht sein.

Anmerkung:

* Ethnikoi, Ethniker: die Anhänger der ethnischen Religionen. «Ethnikoi» und «eidololatres» (Götzendiener) sind die in Griechenland üblichen Bezeichnungen für Polytheisten, Kosmotheisten, Henotheisten und Animisten.