Neuer mythologischer Text gefunden

Vor wenigen Tagen erreichten uns die Nachrichten über den Fund eines mythologischen Textes, dessen Existenz bisher nur indirekt belegt war. Der Text handelt von der Kindheit des Dionysos und reicht «bis in die Zeit Homers» zurück. Die Altertumswissenschaftlerin Giulia Rossetto (Universität Wien) entdeckte den Text im Katharinenkloster im Sinai, Ägypten. 

Rossetto entzifferte den ursprünglichen Text Buchstabe für Buchstabe. Anschließend übersetzte sie die 89 Versteile ins Deutsche, was keine leichte Aufgabe war. Denn die beiden Pergamentblätter, welche den Text überliefern, befinden sich in einem äußerst schlechten Zustand. Außerdem wurde der ursprüngliche Text überschrieben, die Schrift ausradiert. Aber mit Hilfe modernster Methoden ist es der jungen Wissenschaftlerin schließlich gelungen, den Text wiederherzustellen. 

«Es ist ein poetischer Text in Hexametern, also dem klassischen Versmaß der epischen Dichtung», sagt Rossetto. «Dieser entstammte einem Epos, das ursprünglich wahrscheinlich 24 Bücher umfasste und dessen Existenz bisher nur indirekt belegt war», nämlich aus Zitaten in anderen Werken. Nun liegt der Originaltext vor.

Ein Teil des Texts lautet: «Den Giganten gelang es nicht, Dionysos, den Sohn des Zeus und der Persephone, davon zu überzeugen, sich vom Königsthron zu erheben: weder mit irgendwelchen Gaben, die die weite Erde nährt, noch mit tückischen Täuschungen und drängenden Reden. Sogleich schmückten sie den Kopf des Sohnes des laut donnernden Zeus mit Kränzen aus lieblichen Blumen und schritten im Kreis einher, in der Absicht, ihn mit Ermahnungen und verführerischen Worten zu überzeugen, mit all den kindlichen Spielsachen und mit angenehmen Geschenken.»

Dieser Text wurde noch im 5. oder 6. Jahrhundert in Ägypten kopiert, was ein «aktives Interesse» an den religiösen Texten der Hellenen dokumentiert, in einer Zeit, in der das Hellenentum entrechtet, verfolgt, das Christentum «dabei war, sich im Römischen Reich fest zu etablieren», wie Claudia Rapp von der Universität Wien bemerkt. Im 10. Jahrhundert wurden die Pergamentblätter von Mönchen neu beschrieben.

Das Kloster, in dem die Pergamentblätter gefunden wurden, ist im sechsten Jahrhundert gegründet worden. Seine Bibliothek enthält tausende Manuskripte, von denen bisher 74 Handschriften im Rahmen des «Sinai Palimpsest Project «erfolgreich bearbeitet» wurden. Wissenschaftliche Leiterin des Projekts ist Claudia Rapp.

 

Quelle: Unbekannter mythologischer Text der Antike entdeckt – Archäologie – derStandard.de › Wissen und Gesellschaft (zuletzt abgerufen am 14.09.«2021»)