Hellenische Gemeinden in Deutschland

Von Stilian Korovilas

In letzter Zeit häufen sich die Fragen von Lesern, ob es in Deutschland Gemeinschaften des Hellenismos gäbe. Die Antwort lautet nein. Der Hellenismos ist in Deutschland familiär organisiert, der Götterkult wird in den eigenen vier Wänden praktiziert, zumal er eine Haus- und Familienreligion ist. (Der öffentliche Götterkult kann als Erweiterung des Hauskultes betrachtet werden.)

Die Gründe dafür, dass es keine hellenische Gemeinschaft in Deutschland gibt, sind vielfältig. Zum einen gibt es nicht viele ethnische Hellenen und außerdem sind sie über das ganze Land verteilt. Die Hellenisten können ebenso an einer Hand gezählt werden. Schon allein diese Tatsache verlegt den Götterkult, auch den öffentlichen, in den Kreis der Familie oder der Privathaushalte.

Es gibt noch ein anderes Faktum, das die Bildung einer solchen Gemeinschaft erschweren würde. Die Hellenen sind kein einheitliches Volk, d.h. wir alle entstammen unterschiedlichen Stämmen, sprechen einen anderen Dialekt des Griechischen, verehren zum Teil ganz eigene Götter, die von anderen Hellenen nicht verehrt werden. Was wir „hellenische Religion“ nennen, ist die Gesamtheit aller Kulte und Riten der Hellenen. Als ethnische Religion kreist die hellenische Religion um örtliche, regionale Gegebenheiten, die einzigartig sind und den Götterkult entsprechend prägen. Das macht die Diversität der hellenischen Kulte aus.

Selbstverständlich gibt es neben den stammesspezifischen oder lokalen auch die panhellenischen Kulte. In unserem Fall würde das bedeuten, wir müssten uns zwangsläufig auf einen panhellenischen Kult einigen, aber welcher sollte das sein? Die einen würden einen panhellenischen Kult des Zeus vorschlagen, weil Zeus ihr Hauptgott ist. Aber was ist mit den anderen? Die würden vielleicht einen Kult der Athena vorschlagen, der wiederum keine allgemeine Zustimmung finden würde. Ich möchte ein Beispiel nennen, um das Problem etwas konkreter darzustellen: die Pontier und Athener gehören beide dem ionischen Stamm an, haben aber zwei unterschiedliche Hauptgötter: bei den Pontiern aus Trapezounta ist es Zeus Stratios und Soter, bei den Athenern Pallas Athena, die noch dazu teilweise anders praktizieren und andere Sitten pflegen. Eine solche Gemeinschaft würde freilich nur den öffentlichen, gemeinschaftlichen Götterkult betreffen. Nichtsdestotrotz müsste dieser so aufgestellt sein, dass niemand außen vor bleibt. Ich möchte niemanden entmutigen, im Gegenteil, ich würde die Gründung einer solchen Gemeinschaft und den Bau eines hellenischen Heiligtums durchaus begrüßen, nur will ich keine falschen Hoffnungen schüren und die Hürden beschreiben, die für die Umsetzung eines solchen Vorhabens zu überwinden wären.

Aber nehmen wir einmal an, wir würden uns auf einen Kult einigen (wobei anzumerken ist, dass eine hellenische Gemeinschaft nicht nur Kultgemeinschaft, sondern auch Sprach- und Kulturgemeinschaft ist, was wiederum einen Mehraufwand bedeutet): wir sind über das ganze Land verstreut, wodurch die materielle Gründung einer Gemeinschaft erschwert, wenn nicht verunmöglicht wird, ganz zu schweigen von den Mitteln, die es für den Bau eines Heiligtums braucht. Außerdem wollen sich manche Hellenen Außenseitern gar nicht zu erkennen geben, etwa weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder diesen Teil ihres Lebens schlicht privat halten möchten.

Es gibt viele Gründe, weshalb der Hellenismos in der Diaspora in den eigenen vier Wänden gelebt wird, sowohl als Familie wie auch als Einzelhaushalt. Daran wird sich in den nächsten Jahren sicher nicht viel ändern. Zwar kann ich es nicht beschwören, aber ich vermute, dass es in den nächsten 10 oder 15 Jahren in Deutschland keine hellenische Gemeinschaft geben wird.

Für diejenigen, welche die hellenische Religion praktizieren möchten, bleibt das traute Heim der einzige Ort, an dem sie dies tun können. Das sollte nicht etwa als Trost verstanden werden. Denn bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft oder Tempelanlagen: Das Herz der hellenischen Religion schlägt zuhause, im Wohnzimmer, in der Küche oder auch in einem eigens für den Götterkult hergerichteten Raum. In der intimen Atmosphäre der Familie oder des Hauses wird das Netz der Beziehungen zu den Göttern, Daimonen, Heroen und Ahnen gewoben. Allerdings ist auch dieser Ansatz mit Schwierigkeiten verbunden, weil natürlich kein Ansprechpartner da ist, der Einblick in den Hellenismos gewähren und Fragen beantworten könnte, die einem unter den Nägeln brennen. Für Interessierte bedeutet dies, dass sie einen langen Atem haben müssen, denn zum jetzigen Zeitpunkt führt für diese Menschen kein Weg vorbei am Selbststudium. Glücklicherweise bietet das Internet mittlerweile den am Hellenismos Interessierten einen Zugang zur hellenischen Weltanschauung und ein durchaus großes Angebot an Informationen an. Und für diejenigen, die des Englischen mächtig sind, bieten die englischen Ausgaben der Publikationen von LABRYS (Hellenic Polytheism: Vol. I: Household Worship, Athen 2014) und YSEE (Hellenic Ethnic Religion: Theology and Practice, New York 2018) einen praktischen Leitfaden für die hellenische Praxis.