Bereits vor drei Wochen verübten Unbekannte Anschläge auf mehrere Berliner Museen, darunter das Pergamon und das Neue Museum. «Die Vorfälle sollen sich bereits am 3. Oktober … zugetragen haben» (Spiegel). Jedoch wurde die Tat aus der Presse gehalten, um die Ermittlungen der Polizei nicht zu behindern. Die Öffentlichkeit erfuhr erst vor wenigen Tagen davon. Seitdem wurde weltweit über dieses Verbrechen berichtet, schließlich handelt es sich dabei um den größten Anschlag auf Altertümer und Kunst seit dem Untergang des Dritten Reiches. Die Täter haben eine ölige Flüssigkeit auf mehrere Kunstwerke gespritzt, die gleiche Flüssigkeit auch auf einem ägyptischen Sarkophag verschmiert. Laut einer Zeitung wurden 60, laut einer anderen 70 Werke beschädigt. Die Ermittler konnten noch kein Motiv hinter den Öl-Anschlägen erkennen. Doch eines ist bereits sicher: der Schaden ist immens. Ob und in welchem Maße die beschädigt Objekte restauriert werden können, ist derzeit noch abzuwarten.
Während sich die Behörden bedeckt halten, wird in den Medien gemutmaßt, dass Verschwörungstheoretiker für diesen beispiellosen Angriff auf die Kultur verantwortlich sind, zumal ein populäres Mitglied der Verschwörungszene die absurde Behauptung aufstellte, dass der Pergamonaltar der «Thron Satans» und das Pergamon-Museum das «Zentrum der globalen Satanisten-Szene und Corona Verbrecher» sei (RND). «Ob diese Äußerungen etwas mit den Beschädigungen an den Ausstellungsobjekten zu tun haben, ist nicht bekannt» (Spiegel). Aber was solche Sätze bei labilen und leicht manipulierbaren Personen auslösen können, zeigt die Frühgeschichte des Oströmischen Reiches und des Abendlandes. Tatsächlich erinnern diese Behauptungen, ob nun ehrlich gemeint oder taktischen Überlegungen geschuldet, an die Phrasen der christlichen Heiligen, die in ihrem beispiellosen Krieg gegen die Zivilisation unzählige Statuen, Altäre und Schriftwerke der ägyptischen, griechischen und römischen Kultur vernichteten. Auch sie waren kognitiv nicht in der Lage, zwischen den ethnischen Göttern und ihrem Satan zu unterscheiden. Angetrieben von ihrem hasserfüllten Fanatismus und Wahnsinn, setzten sie eine ganze Welt in Brand. Doch am Ende brannten nicht nur Kulturen, sondern auch Menschen.
Für uns Hellenen ist dieser Anschlag besonders schmerzlich, denn unter den beschädigten Werken befinden sich auch «zahlreiche altgriechische Objekte sowie eine 3D-Ausstellung des berühmten Pergamonaltars» (Pappas Post). Insofern beschäftigt uns nicht nur die Identität der Täter, sondern auch die Frage, wie es dazu kommen konnte. Der Erfolg des Anschlags lässt Zweifel an der Kompetenz und dem Verantwortungsgefühl der zuständigen staatlichen Stellen aufkommen. Wir hoffen, dass sich unsere Skepsis als unbegründet erweisen wird.
Seit diesem Anschlag müssen wir uns eingestehen, dass die Barbarei Europa nie verlassen hat; sie hat lediglich «modernere» Formen angenommen. Wie der Hellenismos zu Verschwörungstheorien steht, dürfte wohl bekannt sein. Sie eignen sich wunderbar zur Verelendung des menschlichen Verstandes und zur Apolitisierung des Menschen, zumal sie die Betroffenen auf Abwege und an den Fragen der Zeit konsequent vorbei führen. Dadurch vergreifen sie sich an der vernunftbegabten Natur des Menschen, was an keinem Ort und zu keiner Zeit akzeptiert werden darf. Denn das Absurde entwickelt sich zunehmend zu einer Gefahr für Mensch und Kultur.
Solange die Verschwörungstheoretiker über Reptiloide, Aliens, Rotkäppchen und die Juden schwadronierten, lachten viele über diese Zurschaustellung des Absurden und ignorierten sie. Jedoch sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir Verschwörungstheoretiker nicht mehr als lächerlich verharmlosen dürfen, sondern als potentiell gefährlich betrachten müssen – und das unabhängig von den Geschehnissen in Berlin.
Es ist offensichtlich, dass die Zivilisierung unseres Kontinentes durch die Aufklärung und die Französische Revolution nicht abgeschlossen wurde, die Barbarei weiterhin in Europa wütet. Nur schickt sie keine Menschen mehr auf den Scheiterhaufen oder schlachtet ganze Familien ab, weil diese sich nicht zum «wahren Glauben» bekennen möchten; sie hat neue Formen angenommen, neue Betätigungsfelder gefunden, aber nach wie vor erzielt sie die gleiche destruktive Wirkung auf das Gemeinwesen.
Andreas Kilb (FAZ) irrt, wenn er diesen Anschlag der Barbaren als einen «Angriff auf die Museen schlechthin» bewertet.
Am 3. Oktober 2020 wurden nicht irgendwelche Kunstobjekte oder Museen beschmiert. Es wurde ein Anschlag auf die Erinnerungskultur mediterraner Kulturen und auf die Zivilisation selbst begangen. Wer auch immer hinter diesen Anschlägen stecken mag, er ist ein Feind der Zivilisation.
Und als solchen muss die zivilisierte Menschheit ihn auch behandeln.
Das ist ein Anschlag auf das kulturelle Erbe der Ägypter, Römer und Hellenen.
Ein Anschlag auf unsere Geschichte.
Falls oder wenn die Täter gefasst werden, müssen sie vor Gericht gebracht und sehr hart für ihr Vergehen bestraft werden.
Es sind Kriminelle.
Berichte:
RND: Hildmann und der Pergamonaltar: Wie Verschwörungsideologen die Museumsinsel für sich entdeckt haben, vom 21.10.2020. Zuletzt abgerufen am 26.10.2020.
Pappas Post: Ancient Greek Pergamon Altar Becomes Focal Point of Germany QAnon Conspiracy Theories, vom 23.10.2020. Zuletzt abgerufen am 26.10.2020.
Spiegel : Sarkophage, Skulpturen und Gemälde mit öliger Flüssigkeit beschädigt, vom 21.10.2020. Zuletzt abgerufen am 26.10.2020.
FAZ: Vandalismus in Berlin: Ein Angriff auf die Museen schlechthin, vom 25.10.2020. Zuletzt abgerufen am 26.10.2020.