Hermes Chthonios

Text von Nicholas Mykonios, Mitglied der hellenischen Gemeinschaft LABRYS.

In seiner Eigenschaft als Psychopompos («Seelengeleiter») in die Unterwelt dient Hermes dem Pluton und der Persephone. Er befördert die Seelen der Toten und nimmt gleichzeitig am Gericht im Hades teil, d.h. er erfüllt Aufgaben, die ihm eine besondere Stellung unter den Göttern der Unterwelt verleihen. In den Anthesterien unserer Vorfahren, die LABRYS am Philopapposmonument und am Altar des Dionysos in Rapentosa (Athen) zelebriert, werden Hermes und Dionysos als chthonische Gehilfen der Persephone und als Führer der Seelen geehrt.

Es gibt viele antike Quellen, die Hermes mit rein chthonischen Gottheiten wie Demeter, Pluton, Trophonios u.a. in Verbindung bringen. «Chthonios» wird Hermes zum Beispiel bei Sophokles, Aischylos und Euripides genannt. Jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die chthonische Eigenschaft des Gottes von seinen anderen Eigenschaften herrührt: dem Bote der Götter und dem Psychopompos. Denn als Bote konnte er Botschaften oder Gebete von der Oberwelt an die Unterwelt übermitteln oder die Seelen zu den chthonischen Göttern führen, weshalb er dann selbst als chthonische Gottheit wahrgenommen wurde. In den «Choephoren» (622) des Aischylos erscheint er als Psychagogos («Seelenführer»), obwohl Orestes von ihm nicht nur die Übermittlung seines Gebets an die anderen chthonischen Götter und an seinen toten Vater erwartet, sondern auch seinen Beistand bei dem Versuch, an den Mördern seines Vaters Rache zu üben (727-729).

Die chthonische Eigenschaft des Gottes bezeugt auch Pausanias, der angibt, am Areios Pagos eine Statue des Hermes neben den Statuen der anderen großen chthonischen, «unterirdischen Götter» gesehen zu haben. Auch Plutarch berichtet uns über die besondere Stellung des Hermes unter den Göttern der Unterwelt, da es beim Fest der Eleutheria in Plataiai Brauch war, während des Stieropfers zuerst an Hermes Chthonios und Zeus Chthonios zu beten und anschließend bei der «haimakouria» (Blutopfer) die Seelen jener anzurufen, die in der Schlacht gegen die Perser im Jahr 479 vor der heutigen Zeitrechnung getötet wurden.

In den orphischen Hymnen führt Hermes Chthonios die «unsterblichen Seelen» sicher in den Hades.