Tradition hat nichts mit dem zu tun, was wir ‹Lokalkolorit› oder Folklore nennen, wie sie auch nichts mit den verschiedenen lokalen Bräuchen zu tun hat, die Volkskundler aufzeichnen. Tradition hat mit dem Ursprung zu tun und der jahrhundertelangen Überlieferung eines Netzwerks von Konzepten, Sichtweisen und Wahrnehmungen, die dem Menschen, dem organischen Glied der jeweiligen Tradition, helfen, sich selbst, sein natürliches und ethisches Umfeld auf eine sehr spezifische Weise zu interpretieren. Die Tradition ist eine Art Sichtweise und Wissen, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird; sie fließt durch die Filter der sozialen und ethischen Differenzierungen und daher erreicht sie ihre Mitglieder jederzeit in ihrer richtigen und zu respektierenden Form.
Die Tradition verdichtet in ihrem Wesen alles davor Gewesene, alle Arten, alle Erzählungen, alles Unausgesprochene, Mythen, Riten, die in der Vergangenheit in ihrem Kontext zum Ausdruck gebracht wurden und zugleich alles, was sich noch nicht geäußert hat, aber als Potentialität bereits existiert. Die Tradition ist also zu jeder Zeit vollständig und gleichzeitig fähig, sich weiter zu entwickeln. Sie verkörpert ein inneres Wissen, das mit jedem Aspekt des Lebens harmonisch koexistiert: dem persönlichen, kollektiven und politischen. Sie ist eine gesamtheitliche Weitergabe und eine gesamtheitliche Erfahrung, denn das Einzige, das sich von Mitglied zu Mitglied unterscheidet, ist der Umfang und die Qualität dieser Weitergabe und Erfahrung.
Die Tradition ist letztlich immer objektiv (im Gegensatz zur subjektiven, individuellen Sichtweise und Haltung) und außerdem immer anzestral und ethnisch; sie wird nie einer Ethnie durch eine andere Ethnie aufgezwungen noch gibt es eine Tradition, die von mehr als einer Ethnie geteilt wird.

Quelle: Oberster Rat der ethnischen Hellenen (YSEE), Τι σημαίνει για εσάς ο όρος «Παράδοση»; (Antworten auf häufige Fragen, Frage Nr. 13). URL: https://www.ysee.gr/faq.html#13 (zuletzt abgerufen am 9. November 2019). Aus dem Griechischen ins Deutsche von Stilian Ariston Korovilas.