Über die Altäre

Labrys: «Περί Βωμών», in: Labrys (Artikel), zuletzt abgerufen am: 09. September «2018».

vomoslabrysDas erste und wichtigste materielle Element des griechischen Götterkultes ist der Altar, ohne den es schwerlich einen Kult geben kann.[1] Der Altar bildet die Grundlage für die Anerkennung des Göttlichen und für seine Verehrung durch den Menschen an einem bestimmten Ort. Er ist nicht unbedingt mit dem Heiligtum identisch, das ein Baum, eine Quelle oder der Ort selbst sein kann, aber die Ausübung des Kultes findet durch den Altar statt. Der Altar ist eigentlich das Tor, das der Mensch baut, um mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten, und deshalb nimmt der Altar selbst den Charakter eines Heiligtums an.[2] Obwohl er das Ergebnis menschlicher Tätigkeit ist, gehört der Altar nach seiner Weihung nicht mehr ausschließlich zur Welt der Menschen, sondern bildet eine Brücke, die diese Welt mit der Welt der Götter verbindet. Er ist, metaphorisch gesprochen, eine Brücke von der Erde zum Olymp, also von den menschlichen zu den göttlichen Ebenen.

Oft wird erwähnt, dass der Altar von der Gottheit selbst oder einem Heroen [3] oder einem berühmten Menschen errichtet wurde. Die Errichtung eines Altars durch die Götter dient dazu, die Rolle der Theophanie bei der Lokalisierung und Errichtung eines heiligen Ortes zu illustrieren, während die Errichtung eines Altars durch Heroen oder berühmte Personen die immanenten Fähigkeiten bestimmter Menschen erfordert, um einen heiligen Ort zu erkennen. In jedem Fall wird der Altar nach seiner Weihung nicht bewegt [4]. Er ist nun das Fundament der Brücke zwischen den Welten der Götter und der Menschen, und wenn er sich bewegt, geht sie verloren. Die Archäologie bietet viele Beispiele von Tempeln oder anderen heiligen Bauten, die umgesiedelt wurden, aber der Altar bleibt immer an dem Ort, wo er ursprünglich errichtet wurde.[5]

Die Altäre können je nach Art des Kultes in drei Hauptkategorien eingeteilt werden: die häuslichen [6], die der Tempel und die staatlichen.[7] Abhängig von der Art der Opfergaben werden die Altäre auch als Opferaltäre, Brandaltäre, feuerlose oder unblutige Altäre kategorisiert. Abhängig vom Rang werden sie in chthonische, olympische oder Altäre für die Toten unterteilt.[8] Jede dieser Kategorien weist signifikante Unterschiede in ihren äußeren und inneren Merkmalen auf.[9]

Die Altäre sind in aller Regel einer bestimmten Gottheit geweiht [10], oft auch einer Gruppe von Göttern, die miteinander verwandt sind (Bild 5). Es gibt jedoch seltene Fälle von Altären, die allen Olympiern oder dem Pantheon in seiner Gesamtheit geweiht sind.[11] In technischer Hinsicht kann der Altar sich vom Baumaterial her oder in Form und Größe unterscheiden [12], obwohl aus praktischen Gründen ein robustes Naturmaterial mit der Widerstandsfähigkeit eines Steines vorzuziehen ist. Die trapezförmige Form ist nicht nur deshalb vorzuziehen, weil sie sich am besten für die Arbeit am Altar eignet (Ablegen von Opfergaben, Entzünden von Feuer und Braten von Opferteilen), sondern auch, weil die Form symbolisch an den mythischen Zustand erinnert, als die Menschen Tischgenossen der Götter waren.[13] Außerdem ist es üblich, dass es oben in der Mitte des Altars eine – als «eskharís» bekannte – schlitzförmige Vertiefung gibt, auf der sich das Feuerbecken (epipyron*) befindet, in dem das Feuer brennt (Bild 8). Wenn die Zeremonie in entlegenen oder ländlichen Heiligtümern stattfindet, stehen die Teilnehmer der Zeremonie in einem Kreis um den Altar und in einem Halbkreis, wenn die Zeremonie in einem Temenos stattfindet (der Hof vor einem Tempel, in dem der Altar steht und der einen Komplex bildet).

Der Altar kann außerdem auf Stufen stehen, wodurch ein Platz geschaffen wird, auf dem der Priester stehen kann und der als «prothesis» bekannt ist. Seine Ausrichtung bezieht sich auf den Tempel und liegt normalerweise auf einer Ost-West-Achse (Osten – Altar; Tempeleingang – Westen).

Zu guter Letzt ist unsere Haltung zum Altar von entscheidender Bedeutung für den Kult. Der Altar muss in einem guten, unbefleckten Zustand und frei von Miasma gehalten werden, denn selbst die geringste Verunreinigung wird die Verbindung zu den Göttern trennen, den Altar unwirksam und zu seiner bloßen Konstruktion ohne religiöse Funktion machen. In einem solchen Fall kann der frühere Zustand des Altars erst nach einem erfolgreichen Reinigungsritus wiederhergestellt werden, was aber die Hilfe von Spezialisten erfordert [14]. Deshalb müssen wir richtig vorbereitet und vorsichtig sein, wenn wir uns dem Altar nähern.

Bilder 1-9

 

Fotos von verschiedenen Altären

Hinweise

[1] Der bekannte Ausdruck «für unsere Altäre und Häuser» verdeutlicht die Bedeutung, die den Altären in der hellenischen Gesellschaft zukommt. Szenen aus dem Kult wurden auf Altären wie in Abbildung 1 dargestellt und in Abbildung 3 ist zu sehen, wie Ganymedes dem Zeus Wein über dem Altar opfert. Aus der Datierung der Funde, insbesondere aus der letzten Datierung des auf dem Berg Lykaion entdeckten Altars, der 5000 Jahre alt ist, ergibt sich, dass die ersten Anzeichen eines olympischen Götterkultes mit dem Vorhandensein eines Altars zusammenhängt (es wurden auch neolithische und mykenische Altäre mit Inschriften in Linear B entdeckt).
[2] So schützt die Heiligkeit des Altars beispielsweise die Schutzflehenden, sobald sie ihn berühren. Siehe den Fall des Kylonion Agos.
[3] Ebenso das Temenos und der Tempel.
[4] Walter Burkert: «Altgriechische Religion» (Athen 1993). Dies gilt nicht unbedingt für die Hausaltäre des Familienkults oder für die Altäre in öffentlichen Gebäuden, die in direkter Beziehung zum Haus oder dem öffentlichen Gebäude stehen, d.h. zu Bauten, die nicht so heilig sind wie die Tempel.
[5] Gewöhnlich wird der Altar mit dem ersten Opfer (oder Opfergaben) in Betrieb genommen.
[6] Siehe: Über die Hausaltäre.
[7] Die meisten öffentlichen Gebäude in der Polis besaßen einen eigenen Altar; auf dem Marktplatz (Agora) gab es eine Fülle von Altären, die die soziopolitische Aktivität der Bürger mit dem Göttlichen in Verbindung brachten.
[8] Obwohl sie eine ähnliche Funktion haben, sind die Altäre der chthonischen Götter und der Verstorbenen nicht wie andere Altäre. Es sind Gruben oder Eschara, in denen die Opfergaben gelegt und verbrannt wurden.
[9] Bezieht sich auf jene Merkmale, die, obwohl sie für den Kult essentiell sind, schwer zu verstehen sind, wenn man nur die äußeren oder weltlichen Eigenschaften der von der Archäologie untersuchten Funde betrachtet. In diesen Fällen müssen wir auf die Literatur und Philosophie zurückgreifen.
[10] Normalerweise wissen wir, welcher Gottheit ein Altar geweiht ist (durch die Inschriften oder die darauf eingravierten Szenen).
[11] Der Altar der zwölf Götter auf dem Athener Markt, der Altar im Pantheon von Rom.
[12] Typische Beispiele für das Spektrum möglicher Altarvarianten sind die natürlichen Altäre, die durch die Ascheablagerungen in Heiligtümern entstehen, wie auch der Zeusaltar in Olympia oder auf dem Lykaion (Abbildung 6) und monumentale Konstruktionen wie der Pergamonaltar (Abbildung 7) oder der Altar des Hieron II. von Syrakus.
[13] In Hesiods «Werke und Tage» finden wir eine archetypische Darstellung der Opferungsmethode des Prometheus, von der Vorbereitung bis zur Ausführung. Für eine tiefergehende Auseinandersetzung siehe Jean-Pierre Vernant & Marcel Detienne «La cuisine de sacrifice en pays grec» (Paris 1979).
[14] Ein historisches Beispiel hierfür ist der Fall des Kylonion Agos, als die Athener gezwungen waren, den Priester Epimenides aus Phaistos zu holen, um die notwendigen Riten durchzuführen und die Polis vom Miasma zu reinigen. Siehe dazu den entsprechenden Wikipedia-Artikel. Ein mythisches Beispiel ist die Befleckung (Miasma) der Altäre durch den unbeerdigten Leichnam des Polyneikes in der «Antigone» des Sophokles. Es wird der Gott Dionysos, der Patron der Polis, höchstpersönlich angerufen, damit er die Polis vom Miasma reinigt.

* Anm. d. Übers.: Das epipyron ist die Feuerstelle des Altars.