Hellenische Weisheiten
Von Stilian Ariston Korovilas ausgesucht
«Anfang der Dinge ist das Unendliche. Woraus aber ihnen die Geburt ist, dahin geht auch ihr Sterben nach der Notwendigkeit. Denn sie zahlen einander Strafe und Buße für ihre Ruchlosigkeit nach der Zeit Ordnung.»
– Anaximandros aus Milet, Über die Natur(DK 1)
«Nicht Kämpfe der Titanen oder Giganten oder auch der Kentauren zu besingen – Erfindungen der Vorzeit – oder tobenden Bürgerzwist darin kein Heil ist, sondern allzeit die Götter zu ehren, das ist tüchtig.»
– Xenophanes aus Kolophon, Aus den Elegien (DK 1)
«Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse roßähnliche, die Ochsen ochsenähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden, wie jede Art gerade selbst das Aussehen hätte.»
Aus den Sillen (DK 15)
«Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.»
Aus den Sillen (DK 18)
«Denn wir alle sind aus Erde und Wasser geboren.»
Über die Natur (DK 33)
«Denken und des Gedankens Ziel ist ein und dasselbe.»
– Parmenides aus Elea, Über die Natur (DK 8)
«Immerdar war, was da war, und immerdar wird es sein. Denn wär‘ es entstanden, so müßte es notwendigerweise vor dem Entstehen nichts sein. Wenn es nun also nichts war, so könnte unter keiner Bedingung etwas aus nichts entstehen.»
– Melissos aus Samos, Über die Natur oder über das Seiende (DK 1)
«Nichts, was Anfang und Ende hat, ist ewig oder unendlich.»
Über die Natur oder über das Seiende (DK 4)
«Wenn es Vieles gibt, so muß es notwendig gerade soviel Dinge geben als wirklich vorhanden sind, nicht mehr, nicht minder. Gibt es aber soviel Dinge als es eben gibt, so sind sie [der Zahl nach] begrenzt.»
– Zenon aus Elea, Über die Natur (DK 3)
«Dieser Kósmos, derselbige für alle Wesen, hat kein Gott und kein Mensch geschaffen, sondern er war immerdar und ist und wird sein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend.»
– Heraklitos aus Ephesus, Über die Natur (DK 30). Von Stilian K. Ariston dem griechischen Original angeglichen.
«Das Volk soll kämpfen um sein Gesetz wie um seine Mauer.»
Über die Natur (DK 44)
«Alles, was man sehen, hören und lernen kann, das ziehe ich vor.»
Über die Natur (DK 55)
«Mit dem Herzen zu kämpfen ist hart. Denn jeden seiner Wünsche erkauft man um seine Seele.»
Über die Natur (DK 85)
«Das Denken ist der größte Vorzug, und die Weisheit besteht darin, die Wahrheit zu sagen und nach der Natur zu handeln, auf sie hinhörend.»
Über die Natur (DK 112)
«Der Charakter eines Menschen ist sein Schicksal.»
Über die Natur (Übrs. Stilian K. Ariston, DK S. 99)
«Wollt ihr nicht aufhören mit dem mißtönenden Morden? Seht ihr denn nicht, wie ihr einander zerfleischt in Unbedachtheit eures Sinnes?»
– Empedokles aus Agrigent, Sühnelied (DK 136)
«Kein Ding entsteht ohne Ursache, sondern alles aus bestimmtem Grunde und unter dem Drucke der Notwendigkeit.»
– Leukippos, Über Geist (DK 2)
«Aus der Klugheit erwachsen diese drei Früchte: wohl denken, wohl reden, recht handeln.»
– Demokrit aus Abdera, Ethische Schriften (DK 2)
«Die Arzneikunst heilt die Gebresten des Leibes, die Philosophie befreit die Seele von Leidenschaften.» (DK 31)
«Nicht Leibeskraft oder Geld macht den Menschen glücklich, sondern Geradsinnigkeit und Vielseitigkeit.» (DK 40)
«Nicht aus Furcht, sondern aus Pflichtgefühl meide die Sünden.» (DK 41)
«Keine Kunst, keine Wissenschaft ist erreichbar ohne Lernen.» (DK 59)
«Wer Schamloses tut, muß sich vor allem vor sich selbst schämen.» (DK 84)
«Es geziemt sich als Menschen nicht über das Unglück anderer Menschen zu lachen, sondern ihnen beizustehen.» (DK 107a)
«Das Glück wohnt nicht in Herden oder Gold, sondern hat in der Seele seinen Wohnsitz.» (DK 171)
«Die Götter aber gewähren den Menschen alles Gute, jetzt und ehedem. Nur alles, was schlimm, schädlich und unnütz ist, das schenken die Götter weder jetzt noch ehedem den Menschen, sondern sie selbst tappen hinein infolge ihrer Sinnesverblendung und Torheit.» (DK 175)
«Das unbotmäßige Leid einer schmerzerstarrten Seele banne durch Vernunft.» (DK 290)
«Das Sichtbare erschließt den Blick in das Unsichtbare.»
– Anaxagoras aus Klazomenae, Über die Natur (DK 21a)
«Richtig leiten aber können nur jene zwei, wahre Meinung und Erkenntnis, und diese müsse der Mensch besitzen, der richtig leiten wolle. Denn was aus Zufall geschieht, geschieht nicht durch menschliche Leitung. Das aber, wodurch ein Mensch ein Leiter zum Rechten wird, sind eben jene zwei: wahre Meinung und Erkenntnis.»
– Sokrates bei Platon, Menon 454 (Übrs. Ludwig von Georgii, 1860)
«Denn Freude ist ein seelischer Affekt, und jeder hat seine Freude an dem, wofür er Zuneigung hegt.»
– Aristoteles, Nikomachische Ethik, 14 (Übrs. Adolf Lasson, 1909)
«Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen! Er bleibt stehen, und rings um ihn legen sich die angeschwollenen Gewässer.»
– Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 4.49
«Ein Mensch aus einem Guß mußt du sein, entweder ein guter, oder ein schlechter.»
– Epiktetos, Das Handbüchlein, XXIX., 7 (Übrs. Carl Conz, 1864)
«Wenn dich jemand schlimm behandelt, oder Schlimmes von dir redet, so bedenke, daß er es tut oder redet in der Meinung, er sei im Recht. Es ist nun nicht möglich, daß er dem folge, was du für richtig hältst, sondern dem, was er dafür hält. Wenn nun seine Meinung falsch ist, so hat er den Schaden, sofern er sich in einer Täuschung befindet. Denn wenn einer eine richtige Satzverbindung für falsch hält, so schadet dies der Satzverbindung nichts, sondern dem, welcher sich geirrt hat. Davon ausgehend wirst du dich gegen den Lästerer sanftmütig betragen.»
Das Handbüchlein, XLII., (Übrs. Carl Conz, 1864)
«Alles Seiende ist durch das Eine seiend.»
– Plotinos, Enneaden, Neuntes Buch, 1. (Übrs. Hermann Friedrich Müller, 1878)
Quelle: Hermann Diels/Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch: 1. und 2. Band, 4. Auflage, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1922.