Martin P. Nilsson, Griechischer Glaube

Rezension zu: Martin P. Nilsson, Griechischer Glaube, Bern: Francke Verlag, 1950.

Martin P. Nilsson (1874-1967) galt als Autorität auf seinem Gebiet. In der Tat war er sehr belesen, hatte sich intensiv mit dem historischen Verlauf der hellenischen Religion auseinandergesetzt. Sein «Griechischer Glaube» war interessant zu lesen, insbesondere die ersten sechzehn Seiten und das letzte Kapitel haben mich gefesselt. Vielleicht lag es am Umfang des Buches, dass die ethnische, sprich: altgriechische Religion viel zu schnell behandelt wird. Schon finden wir uns in der hellenistischen Zeit wider und rutschen schnell wieder in die Spätantike. Diese «Hektik» fördert nicht unbedingt das Lesevergnügen. Sei’s drum.

Nilsson fängt mit der Bedeutung der Ritualpraxis an. Diese war bei den Hellenen sehr wichtig, ihre Einhaltung war gleichbedeutend mit Pietät. Einhaltung bedeutet hier, die Riten «im Sinne der Väter» durchzuführen. Die dadurch entstehende Beziehung zu den Göttern durchweht die gesamte soziale Ordnung in der Polis. Denn die «Religion» war kein eigener Bereich, sondern gehörte zum Ethos der Hellenen. Deutlich gemacht, dass die Olympier nicht die Schöpfungen des Homeros oder Hesiodos sind, zeigt er wie sich der Schwerpunkt im religiösen Geschehen zugunsten einer persönlichen Pietät verschiebt, welche charakteristisch für die hellenistische Epoche gewesen soll. Auch mit dieser gibt sich der Autor nicht lange, viel zu sehr beschäftigt ihn die Spätantike und der Kollaps der hellenischen Seele. Zwar zeigt er ganz genau auf, wie Synkretismus, Theosophie, Mystizismus, Magie, orientalischer Einfluss und Hermetik der hellenischen Tradition «das Genick brachen», aber über die Verbrechen des Christentums schweigt sich Nilsson aus. Paulus ein religiöses Genie, die Erholung der hellenischen Religion in der Zeit von Proklos nicht beachtet, lässt der Autor die antike Tradition fast wie von allein erlöschen. Scythopolis, die Kerker Konstantinopels, Heliopolis werden nicht einmal angedeutet.

Denn der Hellenismos, der nicht allzu sehr unter dem Einfluss des Orients geriet, erholte sich wieder. Die Akademie in Athen blühte auf, als Justinian sie schließen ließ. Mani leistete bis zum 9. Jahrhundert erbitterten Widerstand gegen das byzantinische Regime. War das alles zu Nilssons Zeiten nicht bekannt?

Wie dem auch sei. Das Buch ist sehr informativ, sein Schwerpunkt ist aber eindeutig die Spätantike. Was wir über die altgriechische Religion erfahren ist wichtig, ich möchte keinen anderen Eindruck entstehen lassen; wir bekommen eine Ahnung, wie Hellas aussah: überall prächtige Tempel, Heiligtümer, Altäre. Die heiligsten Kultbilder, die auch dem Volk näher standen, waren aus Holz gemacht und das Holzrelief von Zeus und Hera aus Samos führen unsere Vorstellung in die richtige Richtung. Die hellenische Pietät kommt zwar zu kurz, dafür wird sie aber korrekt dargestellt. Das Buch ist durchaus empfehlenswert, sollte aber mit Vorsicht genossen: der Autor schaut durch die Augen des Abendlandes auf das Hellenentum, demenstprechend sieht seine Deutung dieser Kultur aus. Indes sind die Fakten, die er liefert für das Studium der hellenischen Tradition von äußerster Wichtigkeit.