Rezension zu: Luciano De Crescenzo, Geschichte der griechischen Philosophie: Von Sokrates bis Plotin, Zürich: Diogenes, 1988.
In seinem zweiten Band seiner “Geschichte der griechischen Philosophie”, versucht der Autor, uns einen Überblick auf die Philosophen von Sokrates bis Plotinos zu geben. Dies ist ihm nicht gut gelungen. Er hat seinen Text gut strukturiert und weist eine saubere Arbeitsweise auf. Dem Leser wird vor Augen geführt, welche Probleme die Philosophen beschäftigten; der Autor versucht, ihre Konzepte zu erläutern, wobei er der Verständlichkeit halber mit einfachen Beispielen aufwartet. Während er die Gedanken des jeweiligen Philosophen auf Papier bringt, springt er in seine Biographie ein, fischt sich eine Szene aus seinem Leben heraus, mag diese nun fiktiv sein oder nicht, und lässt den Philosophen als Menschen etwas schlecht dastehen – was soll das? Vor allem seine Kapitel zu Platon und Aristoteles strotzen nur so vor Subjektivität.
De Crescenzos plaudert heiter über die Erlebnisse des jeweiligen Philosophen, stützt sich dabei viel zu sehr auf Diogenes Laertios, lässt dabei auch seiner Fantasie die Zügel schießen und kommt zu eigenartigen Schlussfolgerungen. Er attestiert den Philosophen Charakterzüge, die er aus ihrer Biographie herauslesen will, projiziert, wie im ersten Band, sein Abendland auf das Hellenentum, lässt vieles aus.
Sokrates, Platon, Aristoteles widmet er sich sehr intensiv, die anderen werden nur kurz vorgestellt – und schon sind wir beim nächsten Philosophen. Plotinos räumt er nur wenige Seiten ein, und auch diese sind nicht das Gelbe vom Ei: das Eine und die Verschmelzung mit diesem ist der Inhalt der ganzen plotinischen Philosophie, diesen Eindruck erweckt das letzte Kapitel. Und wenn wir schon beim Platonismus sind: wo bleiben eigentlich Philon von Larisa, Aristos von Askalon, Plutarchos, Kelsos usw.? Es kann nicht sein, dass er sie alle überspringt, um bei Plotinos zu landen. (Und was ist mit den Platonikern nach Plotinos, wieso werden Porphyrios, Iamblichos, Maximos, Julian, Hypatia, Proklos, Damaskios, Simplikios nicht erwähnt? Von Plethon ganz zu schweigen. Sie alle hielten die hellenische Weltanschauung und Tradition unter größter Anstrengung am Leben, boten dem Christentum die Stirn, hinterließen eine Fülle an Werken, insbesondere Proklos, und finden hier keine Erwähnung.) Aber der Titel ist Programm “Von Sokrates bis Plotinos” – nur verstehe ich nicht, weshalb die Platoniker vor Plotinos ausgelassen wurden. Das Buch ist unvollständig.
Folglich ist De Crescenzos zweiter Band ein brauchbares Nachschlagwerk, aber kein Must read und sicherlich keine gute Einführung, daher gebe ich dem Buch nur zwei Sterne. Hätte ich gewusst, dass der mittlere Platonismus fehlen würde, hätte ich das Buch ehrlich gesagt nicht gekauft. Der Titel ist somit irreführend. Er gibt eine solide Grundvorstellung von den Problemen, mit denen sich die Philosophen befasst haben, man erfährt vieles über ihr Leben und ihr Umfeld, aber eine Geschichte der griechischen Philosophie sieht nun mal anders aus.