Re-Indigenisierung in der Praxis
Stilian Ariston Korovilas, 9. Pyanepsion des 3. Jahres der 698. Olympiade / 22. Oktober «2015»

So wie die Dinge liegen, können wir Hellenen weder auf «europäischem» noch auf «griechischem» Recht bauen, sondern müssen unsere Rechte erkämpfen. In Griechenland müssen wir nicht nur der Theokratie, ein Staat im Staat, sondern auch ihren fanatischen Anhängern die Stirn bieten. Gleichzeitig müssen wir die Reindigensierung mit allen Mitteln vorantreiben, so knapp die Finanzen auch sein mögen. Die «Mythologische Werkstatt» des Y.S.E.E. geht dieses Jahr in die zweite Runde und soll demnächst nicht nur Bastelarbeit und Führungen durch antike Stätten unter Leitung versierter Archäologen, sondern darüber hinaus auch Unterricht in Altgriechisch anbieten. Kinder erlernen so von klein auf die hellenische Sprache, lernen durch das Studium der Etymologien die Bedeutungen der Wörter kennen und wissen beide Sprache, das alte und das neue Griechisch, fließend zu sprechen, zu schreiben und zu lesen.
Mit der ersten Schule für ethnische Hellenen werden die Kinder dann auch vom Einfluss des griechisch-sprachigen orthodoxen Bildungssystems abgeschirmt und lernen die Geschichte der hellenischen Ethnie kennen, nicht ideologisiert, wie bisher in den staatlichen Schulen, sondern unter Berücksichtigung von Sathas, Deschner, Vallianatos und anderer moderner Forscher. So überflüssig Paparrigopoulos und die nationalistischen Legenden sind, so notwendig ist die dann die Quellenangabe in den Schulbüchern.
Von den drei großen Projekten (Tempel*, Bibliothek, Schule), scheint mir die Schule das bedeutendste zu sein. Denn Bildung ist weit mehr als notwendig für die spätere berufliche Laufbahn. Sie schützt vor politischer Demagogie, Kriegsrhetorik, Parlamentarismus und Nationalismus, vor allem dann, wenn die wohltuende Auswirkung der Demokratie auf das Kollektiv und seine Glieder erörtert wird.
Nur so können wir der Instrumentalisierung, Ausbeutung und Verzerrung hellenischer Geschichte und Symbolik durch den griechischnamigen Staat wirksam entgegentreten. Der Weg ist noch ein langer und die Konfrontation mit Nationalismus, Kirche und Staat zeichnet sich bereits jetzt ab. Dabei ist die irrtümliche oder bewusste Verlinkung des Hellenismos mit dem «Neuheidentum», welche von außen an uns herangetragen wurde, der Epsilon-Legende und dem «Archäozentrismus»** nur einige der Hindernisse, die wir überwinden müssen.
Wir haben bereits die griechischsprachige-orthodoxe Staatsideologie über Bord geworfen, das hellenische Zeitrechnungssystem (Attischer Kalender), die hellenischen Namen der Tage eingeführt; viele von uns ließen sich ihren christlichen Vornamen amtlich durch einen hellenischen ersetzen, gerieten in Auseinandersetzung mit ihren Familien, den Behörden und Ämtern, schärften dabei aber unser aller Profil nach außen und zeigten, wie hellenische Mentalität in der Praxis aussieht. Dabei lehren uns die Tatsachen der letzten vierzig Jahren, dass wir stärker werden mit Zeit, aber auch, dass wir Hellenen uns nur auf uns selbst verlassen können. Und das ist gar nicht mal so schlecht – der Kampf macht uns stärker und autonomer, lässt uns über den Wert dessen reflektieren, für das wir uns einsetzen und wird am Ende des Weges immer eine Erinnerung dafür sein, dass Freiheit und Autonomie niemals als selbstverständig hingenommen werden dürfen.
Solange wir uns nicht von der umkreisenden Schlechtigkeit mitreißen lassen, weiterhin uns in Selbstachtung üben, Rückgrat beweisen und Konsequenz, werden uns die Götter und Heroen die Kraft geben, weiter zu gehen. Jeder einzelne Stein, den wir aus dem Weg räumen, ist ein Stein weniger auf dem Weg der kommenden Generationen. Julian hatte es nicht leicht. Simplikios hatte es nicht leicht. Plethon hatte es nicht leicht. Dennoch sind sie ihren Weg gegangen und haben den unsrigen geöffnet. Mögen wir uns in gleicher Weise um den Hellenismos bemühen und ein ebenso achtbares Leben im Dienste einer gerechten Sache führen. Mögen unsere Taten das Leben und den Kampf der kommenden Generationen erleichtern, auf dass wir ihnen zum Vorbild werden.
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*: Trotz gegenteiliger Angaben im Internet, zum Beispiel auf Wikipedia, besitzt der Hellenismos heute keinen eigenen Tempel, weder in Griechenland noch auf Zypern. «Tempel für die griechischen Götter» wurden in Griechenland (Epsilon-Anhänger, Esoteriker) erbaut oder in den USA (Okkultisten) eröffnet und wieder geschlossen, doch nicht vom Hellenismos, sondern von fremden Gruppen. Diese «Tempel» wurden nicht im hellenischen Stil gebaut (korinthisch, dorisch, ionisch), sondern sind moderne Einrichtungen, ohne jeden Bezug zur hellenischen Kultur. Der «moderne Tempel» in Thessaloniki, der auf Wikipedia als Tempel moderner Hellenen bezeichnet wird, ist eine solche Einrichtung; sein Stil ist offensichtlich nicht hellenisch. Mehr dazu im Wikipedia-Artikel Hellenismos (Religion) unter Diskussion (insbesondere von Interesse hier: der Beitrag von Kritiker am 22.06.15).
**: die griechischprachige-orthodoxe, sprich romäische Entsprechung zur «Ariosophie», ein Konglomerat von Engels- und Ufoglaube, christlicher Religion, Nationalismus, Verschwörungstheorien und griechischer Mythologie. Für die Anhänger dieser Anschauung, auch Epsilon-Theorie genannt, sind die Götter der Hellenen bloß Engel des dreifaltigen Jahwe oder außerirdische Vorfahren der heutigen Griechen, eine teilweise biologistische Hypothese.