Warum wir Ethniker heißen

Vlassis G. Rassias: «Wieso wir ‹Ethniker› sind und unsere Religion aus den gleichen Gründen ‹ethnisch› ist und auch so heißt», in: Rassias (Artikel), zuletzt abgerufen am 06.03.«2015». Aus dem Griechischen von Stilian Korovilas.

YSEEPICTURES33

Grundlegende Bedingung für die nachfolgenden Betrachtungen ist, dass die hellenische Ethnie eine bis in die Gegenwart ungebrochene historische Kontinuität besitzt und ihre Geschichte nicht nur eine andre ist, sondern sich auch ganz von der ihrer jeweiligen militärischen bzw. religiösen Eroberer und Tyrannen unterscheidet. Von daher betrifft alles, was wir hier ansprechen, nicht diejenigen, die behaupten oder glauben, dass unsere Ethnie vor sechzehn Jahrhunderten angeblich vollständig christianisiert wurde und seitdem einzig in den Zeichen, den Vorstellungen und in der Religion ihrer Eroberer überlebt habe.

Im Widerspruch zu dem, was sie behaupten oder glauben, wurden die Anschauungen und Riten unserer Religion von der Spätantike bis hin zur Epoche Gemistos-Plethons größtenteils unverändert und unbeschädigt weitergegeben, und bildeten von da an bis in die Neuzeit hinein den zusammenbindenden Klebstoff der verfolgten hellenischen Ethnie. Insoweit ist die vor 30 Jahren erneut vorgebrachte öffentliche Forderung nach Rehellenisierung und Restauration der Hellenischen ethnischen Religion kein «neopaganes» Phänomen, wie die orthodoxen Theokraten uns gern weismachen wollen, aber ein Aufleuchten mikroskopischen Ausmaßes der verfolgten hellenischen Ethnie im öffentlichen Leben unserer Heimat. Die Religion der verfolgten hellenischen Ethnie heißt «Hellenische ethnische Religion», während sich ihre Mitglieder als «Hellenische Ethniker» bezeichnen. Der Grund hierfür wird weiter unten analysiert.

Das Wort «Ethnos» wurde von unseren Vorfahren dazu benutzt, eine spezifische Gruppe von Menschen mit einer gemeinsamen kollektiven Identität zu bestimmen, die durch eine gemeinsame Abstammung, eine gemeinsame Sprache, einen gemeinsamen Kult der gleichen Götter, ein gemeinsames Wertesystem und ein gemeinsames tägliches Verhalten geformt ist («όμαιμόν τε και ομόγλωσσον, και θεών ιδρύματά τε κοινά και θυσίαι ήθεά τε ομότροπα», dt. «Bluts- und Sprachgemeinschaft, die Gemeinsamkeit der Heiligtümer, der Opferfeste und Lebensweise»). Das Wort «Ethnos» stammt übrigens vom Terminus «Ethos» ab, welches das Wertesystem, die Sitten und Gewohnheiten anspricht.

Das «Ethnos» beinhaltet «Geschlechter» (lat. «gentes»), d.h. Generationen, Geschlechterfolgen von Menschen gleicher Blutabstammung. Seit der Zeit des Herodotos setzte sich das «Ethnos», wie die «Phratra» oder «Phratrie»[1] sowie auch die «Phyle»[2] aus «Geschlechtern» zusammen. «Ethniker» ist, wer zu seinem Ethnos gehört («vom Ethnos oder dem Ethnos angehörig»), so wie auch im Lateinischen diejenigen «gentiles» heißen, die zu den Geschlechtern oder «gentes» gehören. In Anbetracht der Tatsache, dass von den vier gemeinsamen Merkmalen der Mitglieder einer Ethnie, die Sprache von jedem beliebigen lerneifrigen Angehörigen einer anderen Ethnie erlernt und gesprochen werden kann, ist «Ethniker» grundsätzlich ein jeder, der seine spezifische Herkunft mit sich bringt, seine spezifische Religion und das spezifische Ethos, das sein «Ethnos» bedingt. Wer einer «Ethnie» angehört, ist selbstverständlich «Ethniker».

Vor dem Aufkommen des Christentums, das mit Proselytismus und Taufe die Menschen von ihren Ethnien abzuwerben und in eine eigentümliche Anti-Ethnie zu integrieren begann, die er selbst als «Pleroma Ecclesiae»[3] bezeichnet, wurden die Ethniker allein anhand des Namens der Ethnie, der sie angehörten, definiert. Wenn beispielsweise einer sagte, dass er ein Hellene sei, bedeutete dies automatisch, dass er voll und ganz am hellenischen Ethnismus partizipierte, sprich: am Ethos und der religiösen Tradition der Griechen.

Als die christianisierten Völker später christliche Reiche bildeten, Monarchien «von Gottes Gnaden» und während der letzten 2-3 Jahrhunderte christliche Nationalstaaten, wurden die jeweiligen ethnischen Namen ihrer Vorfahren zwar zurück an die Oberfläche gebracht, aber in Staatsbürgerschaften umgewandelt. So hatte z.B. der «germanische» Kreuzfahrer, der die Ethniker im Baltikum niedermetzelte, überhaupt keine kulturelle Beziehung zu den Germanen (dem Ethnismus nach), welche vom fränkischen Monarchen Karl zusammen mit ihren Familien in Verden abgeschlachtet wurden, weil sie sich der Taufe verweigerten. So hat auch der moderne «griechisch»-orthodoxe Bürger des griechischen Staates kulturell überhaupt nichts mit den Hellenen zu tun, die Parthenons erbauten oder sogar die Juden in Ägypten und Palästina hellenisierten. Daher ist klar, dass es eine Sache ist, der Staatsbürgerschaft nach «Germane» oder «Grieche» zu sein und eine andere Sache, Germane oder Grieche gemäß dem Ethnismus, will heißen ethnischer Germane oder ethnischer Grieche[4] zu sein.

Als einige vor kurzer Zeit unsere Selbstbezeichnung als «hellenische Ethniker» (Hellenes Ethnikoi, Έλληνες Εθνικοί) und natürlicherweise auch die Selbstdefinition unserer Religion als «Hellenische ethnische Religion» unter Beschuss nahmen, machten sie sich dabei eines törichten wie auch unhistorischen Arguments zunutze, demzufolge der «Ethniker» angeblich die griechische Übersetzung des abwertenden Begriffes «Gojim» sei, mit dem die Juden die übrige Menschheit bezeichneten und weiterhin bezeichnen. Jedoch wissen wir, dass die angebliche «Übersetzung der Septuaginta» nicht für die Juden angefertigt und die meisten Texte des sogenannten «Alten Testaments» von vornherein von den alexandrinischen Anhängern Jahwes für ihre Glaubensbrüder im ptolemäischen Reich auf Griechisch verfasst worden waren, die mehrheitlich schon längst Griechisch sprachen.

Demgemäß dient die Verwendung des Begriffs «Ethnikos» im «Alten Testament» grundsätzlich zur Bezeichnung derjenigen, die den Sitten ihrer Ethnie folgen und somit keine Juden sind, wie auch in der Literatur der Christen hierdurch ebendiese identifiziert werden, d.h. diejenigen, die darauf bestehen, den Sitten ihrer Ethnie zu folgen und deshalb nicht zum Christentum konvertieren. Schlussendlich betonen wir hierzu, dass die Juden sogar die Christen mit dem Begriff «Gojim»[5] bedachten, die mit Sicherheit nicht als «Ethniker» bezeichnet werden können.

Diese unsinnige Argumentation, wir sollen uns selber nicht als «Hellenische Ethniker» bezeichnen, weil diese unsere Selbstdefinition pejorativ sei, beleidigt die Intelligenz eines jeden vernünftigen Menschen, zumal ja auch der Begriff des «Hellenen» abwertend verwendet wurde. Demnach dürften wir uns auch nicht «Hellenen» nennen, schließlich wurde dieses Wort von Juden und Christen lange Zeit als Schimpfwort verwendet.

Ungeachtet dieses neuartigen Unfugs, sind wir «hellenischen Ethniker» nicht dahingegangen, nachdem die schwarzen Horden unsere Heiligtümer zerstörten und die Verfügungen gewisser «oströmischer» Kaiser, uns unverblümt das Recht, zu existieren, entzogen hatten. Wir sind organisiert von der Bildfläche verschwunden und sorgten mit allen Mitteln und allem Einsatz dafür, unseren nun «stillen» Weg in die Zukunft zu sichern. Jedes einzelne unserer Kollektive bildet ein weiteres geheiligtes Bindeglied, ein weiteres Versprechen auf Rückkehr, Wiederherstellung und Rehabilitation an Götter und Ahnen. In seiner jahrhundertelangen geheimen Wanderung, hat das ethnische Hellenentum (ethnikós hellēnismós) jedem noch so beschränkten Menschen, klare und deutliche Lebenszeichen gegeben.

In unserem von Oströmern versklavten Vaterland, haben verschiedene lokale griechische Herrscher in der Zeit von 1200 – 1210, der Kreis rund um Theodoros Laskaris II. im sogenannten «Kaiserreich von Nikaia» und schließlich der Philosoph Georgios Gemistos-Plethon zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit dem Gebrauch des Begriffs «γένος» (génos: Geschlecht, Stamm) sich von den Römern-Romäern differenziert, bestrebt, dem Bewusstsein ihrer ethnischen Abstammung Ausdruck zu verleihen («Wir sind … der Herkunft nach Hellenen. Dafür zeugt sowohl die Sprache als auch die von den Vätern ererbte Paideia [Bildung]»).

Angesichts dieser für sie gefährlichen Wiedereinführung des Begriffes «génos», leitete die Kirche in ihrer bekannten Art einen schnellen Prozess der Bedeutungsänderung und Aneignung ein. Noch vorm Ende der Epoche der «Stratioten» [6], der hellenischen Privatkrieger, die fast zweihundert Jahre lang (15. und 16. Jh.) die geistigen Führer der meisten griechischen Gemeinden der Diaspora gewesen sind, wurde das Wort «génos» seiner ethnischen Semantik entrissen und nutzlos gemacht, indem es, analog zum osmanischen «Rum Millet», auf die überall verbreiteten orthodoxen Romäer angewandt wurde. Die orthodoxe Theokratie macht bis heute in dieser schachernden Weise Gebrauch davon. Bischof Dositheos Kanellos schreibt beispielsweise: «Was bedeutet génos? Das Wort Génos wird mit dem Großbuchstaben Gamma [Γ] geschrieben. Und so soll es auch sein. Génos ist die Heilige Nation, das königliche und priesterliche Geschlecht der orthodoxen Romäer. Es ist das Geschlecht, welches die schönste Sprache auf Erden spricht: die griechische. Es ist das Geschlecht, welches der Welt Heilige, Kirchenväter, Märtyrer und Bekenner gegeben. Es ist das gesegnete Geschlecht der Rum … das Geschlecht, welches sich mit seiner Kirche, seiner Mutter identifiziert. Es ist das Geschlecht, welches die Orthodoxie, wie seinen Augapfel hütete. Es ist das selige Geschlecht, dessen Herr Gott ist.»

Die verfolgte hellenische Ethnie antwortete mit der Wiedereinführung des Wortes «Ethnos» auf die vulgäre Aneignung des Terminus «génos», viele Jahrzehnte bevor die Französische Revolution die «Nation» und das «Vaterland» – freilich innerhalb ihres eigenen konzeptionellen Rahmens – wieder neu einführte. Im Jahre 1730 kamen Vertreter der verfolgten Gemeinden der griechischen Diaspora, die die hellenischen Sitten [Nomizomena] gewahrt hatten, in Triest zusammen (zwei Jahrzehnte bevor die orthodoxen Romäer auch dort die Macht ergriffen) und affirmierten das «Hellenentum» als «Ethnos» im antiken Sinn des Wortes und zeitgleich determinierten sie das Gebilde seiner Nomizomena als einheitliche, systematische, noch dazu als eine «ethnische» «Religion». Während der relativ kurzweiligen «Franzosenherrschaft» auf den Heptanisa-Inseln am Ende des gleichen Jahrhunderts (1797 – 1798), haben ein paar seltsame Menschen, die wie aus dem Nichts erschienen sind, mit ihren Forderungen nach Rückkehr zur Hellenischen ethnischen Religion und Direkten Demokratie viele Leute in Erstaunen versetzt, während etwa zur gleichen Zeit (1797) Rigas Feräos in seinem «Thourio» («Θούριό») die Orthodoxen auf das mögliche Erscheinen einiger ihrer «Brüder» vorbereiten wollte, die indes «Ethniker» sind.

Wir haben mit der Grundannahme der ununterbrochenen historischen Kontinuität des ethnischen Hellenentums von der Spätantike bis in die Gegenwart begonnen. Doch selbst wenn dies nicht zutreffen würde, wie es die orthodoxen Theokraten und sonstige Interessengruppen mit ihren diversen Absichten sehr gerne hätten, ist das ethnische Hellenentum seit seinem öffentlichen Auftritt Ende der 1980er Jahre historisch fassbar und kämpft seither konsequent und hartnäckig für Rehellenisierung und vollständige Wiederherstellung der Hellenischen ethnischen Religion. Und die Tradition dieses sichtbar gewordenen ethnischen Hellenentums ist nicht «neopagan», sondern «ahnentradiert».

Wir wiederholen ein weiteres Mal, dass die Religion der echten Hellenen eine ist, und sie ist und heißt «ethnisch». Ob es den oben erwähnten Interessengruppen und ihren Zwecken nun passt oder nicht, wir existieren und kämpfen. Und unser Kampf wird nicht aufhören, bis die nationale griechische Religion vollständig wiederhergestellt ist – in einer freien griechischen Nation, in einem souveränen griechischen Staat, in dessen Museen die schriftlichen Urkunden unserer andauernden historischen Kontinuität furchtlos ausgestellt und in dessen Schulen zuallererst das bislang unbekannte Epos unserer geheimen, doch ununterbrochenen Kontinuität gelehrt wird.

Athen, November «2014»
Vlassis G. Rassias

Michael Marullus Trachaniotis: «Hymne an Helios» (1497)
(Ausgesuchte Auszüge. Übers. von Konstantinos Sathas, unserem nationalen Historiker, in seinem Werk «Mittelalterliche Bibliothek», Band 6) [7]

«Bleibt fort, Uneingeweihte, da!, Gott erscheint,
bebt der Tempel in tiefsten Höhlen,
und ringsum brüllt der Berg furchtbar wider.
Es würdigt wieder Apollon seinen Sitz
und kehrt zurück in seine alte Höhle,
dumpf von langem Moder,
die Seelen der Menschen wieder zu begeistern
tobt wild in ihrer Brust,
bewässert das Herz mit backchischem Rasen …

Meine Augen sich weiden am himmlischen Licht,
den Göttern nahe und ihn selbst, Vater Sol,
der mit unermüdlichem Licht alles lenkt
… und den Kosmos regiert …

Die unverdiente Heimsuchung der Hellenen gesehen,
hüllte er sich in trauerverkündender Dunkelheit,
da ihm unwürdig, solch’n Frevel mit anzusehen.
Weder unser trauriges Los, Zeugen großen Ruhms,
noch die Künste, Tugenden und göttlichen Schriften
haben sie gerührt!
Und es fielen Städte viele durch Feuer
und Stahl zertrümmerte sie,
die viele gold’nen Tempel der Himmlischen,
und ein Volk gleich zu Beginn geschaffen,
zu gebieten über Land und Meer,
es wurd’ vertrieben.
Und vom Schicksal geschlagen,
suche ich umhergetrieben,
Heiliges auf Erden!

Durch das Schicksal getrennt von Vaterland
und der Ahnen Gräber,
sind wir Beispiel für menschliches Los.
Treten mein König und sein Sohn aber nicht rettend ein,
wird auch der Glanz unsrer heiligen Sprache erlöschen
sogar die Künste, geheiligt durch schwere Mühen
werden dem Vergessen anheim fallen.
Und es sammeln jene der Pelasger heilige Relikte hier,
die heiligen Geheimnisse,
Ruhm so vieler Menschen und ihre Werke,
welche ihr Ringen um Wissen bezeugen,
haben Zeit und Hades überwunden …
Dies, Vater Helios,
sei der sichre Hort,
an dem unser Volk einst wieder erstehen soll.»

 

A.d.Ü.
1. «Phratrie»: Bruderschaft

2. «Phyle»: Abstammungsgemeinschaften

3. Pleroma bed. Gesamtheit, Fülle, Vollständigkeit, Ecclesiae bed. Kirche.

4. ethnischer Hellene.

5. Das jüd. Wort Gojim bedeutet «Volk», aber auch «Tiermensch», «Bestie».

6. Stratioten: griechischsprachige Söldner im Mittelalter, einige davon sind Hellenen gewesen (z.B. Michael T. Marullus).

7. «G. W. Bowersock deftly draws out the vicissitudes of this vocabulary of ethnicity and religion and its later permutations in Christian Greek texts, wherein ethnikos (‹ethnic›) becomes the standard word for ‹pagan›. This usage ‹suggests at one and the same time the local character of pagan cults … and the role of Greek culture in sustaining those cults› (Hellenism in Late Antiquity, 10-11).» Paula Fredriksen, Augustine and the Jews: A Christian Defense of Jews and Judaism, p. 388-389, New Haven/Connecticut: Yale University Press 2010.

8. Deutsche Übersetzung in Anlehnung an Michael Marullus, Hymni Naturales, Würzburg 1996, S. 77-91. Übers. von Otto Schönberger. Die Übersetzung Schönbergers wurde dankbar genutzt, wenn ich auch aufgrund unterschiedlicher Auffassungen nicht in Gänze seiner Übersetzung folgen konnte.