Vlassis G. Rassias: »Ethnos, Ethnismus, Nationalstaat, Nationalismus«, in: Rassias (Startseite: Texts and Interviews Translated into German). Übersetzung eines Auszugs aus der gleichnamigen Publikation von Vlassis G. Rassias. Aus dem Griechischen ins Deutsche von Simon Zavrakidis. Korrektur von Stilian Ariston Korovilas.
Nach dem Zusammenbruch des Reiches Karls des «Großen» im Westen, dieses bestialischen Schlächters der europäischen Ethnien, wurde die Welt Jahwes feudalistisch organisiert und strukturiert, und überdauerte in dieser Form einige Jahrhunderte, führte dann aber schließlich in eine Sackgasse, aus dem einfachen Grund, weil die Konflikte zwischen ihren Teileinheiten zu einer Zerstückelung führte, aber auch deshalb, weil die Aufstände der unzufriedenen lokalen Untertanenbevölkerung sie verwundbar machte. Dementsprechend beugte sich im Osten das theokratische Byzanz, das nur noch auf dem Papier ein Imperium war, dem Feudalismus, nur noch dazu fähig, Steuern einzutreiben, um die unersättlichen Bedürfnisse des Palastes, der Bürokratie und des parasitären Klerus und Parallel-Klerus, «Mönchtum» genannt, zu befriedigen.
Jedenfalls vollzog dieses Modell gleichzeitig den Bruch mit der Epoche, die man heute das «Mittelalter» nennt. Dem verwundbaren Feudalismus des Westens folgte im 16. Jahrhundert der unverwundbare «Nationalstaat», welcher aus den umstürzlerischen Aufständen der Untertanen hervorgegangen ist. In den nachfolgenden zwei Jahrhunderten wurde ganz Europa gezwungen, bis in seinen letzten Winkeln diesem Beispiel zu folgen. Derweil brachte die Menschheit zu dieser Zeit auf dem Gebiet der Ideen nicht nur nichts Neues hervor, sondern blieb in der gleichen schauderhaften, geistestötenden Weltanschauung verhaftet und versank zugleich in noch größere Brutalität und Verrohung (wie viele wissen eigentlich, dass die überwältigende Mehrheit der Millionen Opfer der intoleranten Jahwe-Religion nicht im «dunklen» Mittelalter, sondern in der «leuchtenden» Renaissance ihr Leben verloren hat?).
Der aufkommende «Nationalstaat», der fast alle selbstentfremdeten europäischen «Ethnien» vereinnahmte, nun mehrheitlich mit erniedrigenden Namen, einer verfälschten vorchristlichen Geschichte und Angehörigen mit den Namen der Gestalten aus der hebräischen Mythologie und ihres Priestertums, welches aus vollem Halse Hymnen an Jahwe schreit («Hallelujah» = «Preiset Jahwe!»), gründete sich auf zwei Pfeilern. Auf der einen Seite auf einen absolutistischen, gewaltsamen und zentralistischen Herrschaftsapparat, zunächst nur «monarchistischer» und natürlich immer «christlicher» Natur, und auf der anderen auf einer gewaltsamen Homogenisierung seiner Staatsangehörigen; Staatsangehörige, die von nun an die gleiche Sicht- und die darauf basierende Verhaltensweise aufweisen mussten, als Glieder einer homogenen «Nation», in einer Welt, deren erster und eigentlicher Feind die Existenz der Vielfalt war, d.h. der «Ethnien», natürlich im ursprünglichen Sinn des Begriffes (d.h. Gruppen mit eigenen «Sitten und Gesetzen, Sprachen und Lebensweisen», wie von Apollonios von Tyana vor langer Zeit festgehalten).
Jedoch wurde diese Schizophrenie überwunden durch die verdrehte, willkürliche Definition der staatlich geschaffenen Pseudo-«Ethnie», d.h. einer homogenen Masse von Staatsangehörigen, und nicht einer Stammes- oder Geschlechtsgemeinschaft mit einem gleichen und eingeborenen «Ethos» (Verhalten, Sitte). Eine kleine Gruppe von Herrschenden entscheidet nach eigenem Gutdünken, dass der kreierten Pseudo-Ethnie einige größere Volksgruppen angehören müssen, die natürlich gar nicht gefragt werden, ob sie dieser «Ethnie» überhaupt angehören möchten.
So wurde ein monströser Mechanismus zur physischen und geistigen Unterwerfung geschaffen, der sowohl staatlich wie auch christlich ist: die eigen-artige* Person oder Gruppe wird durch die unerbittliche Produktion von Untertanen**, aber auch durch ihre geistige Unterwürfigkeit endgültig zermalmt (Nietzsche beschrieb im Detail die Weltanschauungen, die Untertanen hervorbringen). Zum ersten Mal in der langen Geschichte der Menschheit wurde aus der ethnischen Identität ein verfallenes Produkt der Gewalt und des Schreckens.
* d.h. von eigener oder besonderer Art sein.
** bed. einem anderen gehören, unterworfen sein.