Hellenismos und Neopaganismus

1. Einleitung
2. «Neo-Hellenic Polytheism»
3. Okkultismus und «Neuheidentum»
4. Kirche, Esoterik und neugriechische «New-Age-Bewegung»
5. Schlusswort

Pan und Psyche (24)

Stilian Korovilas, 22.05.«2013». Erweitert am: 17.04.«2020». Neu veröffentlicht am: 05.12.«2022».

1. Einleitung

Der folgende Artikel entstand als Antwort auf die im Internet häufig aufgestellte Behauptung, der Hellenismos sei eine «neopagane Bewegung». Das Anliegen des Artikels verlangt deshalb nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem «Neopaganismus», der im Artikel dem Hellenismos gegenübergestellt wird, um a) einen Vergleich zu ermöglichen und b) die Divergenzen zu bestimmen, die die im Raum stehende Behauptung widerlegen sollen. Anhand einiger Beispiele werden die fundamentalen Unterschiede, welche den diametralen Widerspruch zwischen Hellenismos und «Neopaganismus» ausmachen, weiter akzentuiert. Die Annahme, beim Hellenismos handele es sich um eine «neopagane religiöse Bewegung»Hellenic Neopaganism»), beruht auf einem grundlegenden und teilweise bis heute verbreiteten Missverständnis, das mir immer öfter begegnete und mir irgendwann die Idee aufkommen ließ, die Verschiedenheit des Hellenismos vom «Neopaganismus» schriftlich festzuhalten. Den entscheidenden Anlass zu diesem Schritt gab mir schließlich die deutschsprachige Ausgabe der lexikalischen Datenbank Wikipedia, auf der der Hellenismos als «neuheidnische» Religion dargestellt wird. Da sich die Wikipedia als Enzyklopädie bezeichnet und von vielen deshalb als solche verstanden wird, bestand und besteht die Gefahr einer fehlerhaften Definition des Hellenismos, die aufgrund der angeblichen enzyklopädischen Neutralität keinen Anlass für Zweifel bieten sollte. Die Artikel in Wikipedia werden gemeinhin als vertrauenswürdig und zitierfähig eingeschätzt, Wikipedia selbst als unabhängig bewertet. Schon der Begriff der Enzyklopädie wird mit gesicherten Tatsachen, verifiziertem Wissen, mit Wissenschaft assoziiert. Es ist also nur natürlich, dass jemand die Informationen in Wikipedia für korrekt hält und ihnen vertraut. Genau das ist das Problem. Wikipedia ist nicht irgend eine Webseite, die kostenlos Informationen zur Verfügung stellt, sondern eine Datenbank, die sich als Enzyklopädie präsentiert und damit quasi Anspruch auf zuverlässige Informationen erhebt. Durch diesen Wahrheitsanspruch und die hohen Aufrufzahlen hat Wikipedia Macht und Deutungshoheit erlangt, die großen Schaden anrichten kann. Denn sie kann großen Einfluss auf die Wahrnehmung einer Sache nehmen. Im Falle des Hellenismos bedeutet dies, dass eine Vorstellung gefestigt und verbreitet wird, die falsch ist und doch die Haltung der Außenwelt zum Hellenismos beeinflussen könnte, weil sie über seine Wahrnehmung bestimmt. Das heißt: wird der Hellenismos als «neopagan» wahrgenommen, wird er auch so behandelt. Für die ethnischen Hellenen kann das nur vom Nachteil sein. So entstand die Notwendigkeit einer Erwiderung, einer Gegendarstellung, einem Gegengewicht zur Darstellung des Hellenismos durch außenstehende Dritte. Das Ergebnis ist eine mehrere Seiten umfassende Auseinandersetzung sowohl mit Wikipedia als auch mit dem «Neopaganismus», um herauszufinden, wie es um den Wahrheitsgehalt der oben angesprochenen Prämisse steht.

Das Thema «Neopaganismus» beschäftigt den Hellenismos eigentlich nicht und betrifft ihn nur insofern, als er von außen damit in Verbindung gebracht wird. Vorweg sei angemerkt, dass der «Neopaganismus» im Text in Anführungsstrichen gesetzt wird, weil es einen alten «Paganismus» nie gegeben hat. Der Begriff ist eine Erfindung der antiken Christen und diente diesen zur Abwertung der traditionellen Götterkulte. Wenn es aber keinen alten «Paganismus» gab, kann es auch keinen neuen geben. Hinzu kommt, dass der Begriff mit Vorurteilen belegt ist und das Verständnis der ethnischen Religionen erschwert, weil er wie ein Filter wirkt, durch den das beobachtete Objekt verzerrt wird. Außerdem lässt er eine inhaltliche Nähe zwischen den ethnischen Religionen und dem sogenannten «Neopaganismus» vermuten und täuscht so über den Charakter des letzteren hinweg. Dadurch erweist er sich als unbrauchbar und irreführend. Der Leser sei auch daraufhin hingewiesen, dass bestimmte Punkte mehrmals wiederholt werden, zum einen, weil sie sehr wichtig für das Verständnis der behandelten Materie sind. Zum anderen deshalb, weil sie bisher allzu oft vernachlässigt wurden. Zunächst werden wir uns den «Neopaganismus» anschauen und dann einen Blick auf den Hellenismos werfen. Anschließend folgt die Analyse der Unterschiede des Hellenismos zum «Neopaganismus», welche die These, der Hellenismos sei eine «neopagane Bewegung», widerlegen soll.

Gleich zu Beginn müssen wir den Begriff «Neopaganismus» eindeutig definieren. Der «Neopaganismus» (auch «Neuheidentum») ist eine neue religiöse Bewegung, welche aus dem Okkultismus hervorgegangen ist. Der Okkultismus ist wiederum ein Sammelbegriff für die magischen Vorstellungen und Praktiken des Abendlandes, die im christlich-esoterischen Glauben fußen. Der «Neopaganismus» ist im Kern eine okkult-esoterische Bewegung mit Versatzstücken der ethnischen Religionen. Im Zentrum seines synkretistischen Glaubensgebäudes steht eine individualistische Religiosität und das Interesse an den ethnischen Religionen, Göttern, Mysterien und Mythen, wie von ihm interpretiert, die er in seine dem Okkultismus entnommene rituelle Grundstruktur mit einbezieht. Der Neopaganismus ist ein vielfältiges Phänomen. Seine wohl bekanntesten Strömungen sind der Hexenkult und ein in kultureller Hinsicht kontextloser Revivalismus antiker Religionen. Zwischen dieser und der New-Age-Bewegung gibt es viele Gemeinsamkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Terminologie und Mentalität ihrer Anhänger, immerhin stammen beide Bewegungen aus der gleichen Quelle. Die New-Age-Bewegung «ist ein Sammelbegriff, der sich auf eine Vielzahl von Personen, Organisationen, Veranstaltungen, Praktiken und Gedanken bezieht. Soziologisch ausgedrückt, handelt es sich nicht um eine zentral organisierte Bewegung mit einer Person als Führer. Obwohl sie … religiöse Splittergruppen … einschließt, ist sie nicht auf irgendeine davon eingegrenzt.»[1] Diese einleitende Definition der New-Age-Bewegung, die übrigens von einem christlichen Autoren stammt, ließe sich genauso gut auf den «Neopaganismus» anwenden, der wie die New-Age-Bewegung ständig im Wandel begriffen ist. Auch der «Neopaganismus» umfasst eine große Anzahl von Strömungen, Bewegungen, Organisationen und Personen mit unterschiedlichen Ansichten und Überzeugungen, die sich teilweise voneinander unterscheiden. So existieren zwischen dem angelsächsischen und kontinentaleuropäischen «Neopaganismus» etwa deutliche Unterschiede in der Mentalität, die zum Großteil kulturell begründet sind. Der Duden definiert den «Neopaganismus» als die «Gesamtheit verschiedener Strömungen moderner nichtchristlicher Religiosität».[2] Die Enzyklopädie Britannica definiert den «Neopaganismus» wie folgt: «Neo-Paganismus, eine von mehreren spirituellen Bewegungen, die versuchen, die antiken polytheistischen Religionen Europas und des Mittleren Ostens wiederzubeleben. Diese Bewegungen stehen in enger Beziehung zur Ritualmagie und modernen Hexerei» (Encyclopaideia Britannica, Sichwort: Neo-Paganism, zuletzt abgerufen am 07.03.2020). Ich werde später erklären, weshalb diese Definitionen fehlerhaft sind und dann eine eigene kurze Definition des «Neopaganismus» abgeben. Dem «Neopaganismus» werden mehrere dutzend neue religiöse Bewegungen zugeordnet, wie z.B. die «neue Hexenbewegung»[3], die sich ihrerseits vom Wicca-Kult abgespalten hat, aber auch wiederhergestellte kulturspezifische Religionen und Traditionen wie die ägyptische (Kemetismus), germanische (Asatru) und römische (Religio Romana), weshalb diese dann auch mit dem Etikett «neopagan» versehen werden, obwohl sie zu einer anderen Kategorie von Religion und zu einer anderen Kultur gehören. Aber später mehr dazu.

Auch der Hellenismos, die ethnische Religion des Hellenentums,[4] wird beispielsweise im Artikel über den «Neopaganismus» auf Wikipedia in die aufgestellte Liste «neopaganer» Glaubensgruppen mit aufgenommen und auf diese Weise zu einer «neuheidnischen» Religion deklariert.[5] Dabei ist er keine «neue Religiosität», sondern existiert vielmehr bereits seit frühester Zeit. Der Hellenismos ist die Kulturtradition der hellenischen Ethnie, also nichts Neues. Im Wikipedia-Artikel jedoch steht er zusammen mit anderen revitalisierten ethnischen Religionen in einer Liste mit diversen Bewegungen und Gruppen, deren Terminologien, Konzepte und Theologien Produkte einer komplett anderen Kultur sind, nämlich des Abendlandes. Es sind Gruppen, die dem Hellenentum fremd und deren Ansichten unvereinbar mit seinen Prinzipien sind (z.B. der Eusebeia). Auf der einen Seite ethnische Religionen und auf der anderen «Hexenglauben», Wicca-Kult, Göttinnenspiritualität, Gaia-Religion, die «Church of All Worlds»: «Neopaganismus». Sogar «okkultistische Strömungen» wie Aleister Crowleys «Thelema, der Luziferianismus, Temple of Set», die Gnosis, Kabbala und sogar die Hermetik finden im gleichen Wikipedia-Eintrag eine explizite Erwähnung. Alles Gruppen, die den meisten ethnischen Hellenen in Griechenland unbekannt sind. Obendrein ist von «Überschneidungen» zwischen diesen okkultistischen Strömungen und manchen «neopaganen» Gruppen die Rede, wodurch bei den Lesern der Eindruck entstehen könnte, der Hellenismos würde in irgendeiner Form Beziehungen zu diesen Gruppen unterhalten, was aber nicht der Fall ist. Ganz im Gegenteil befürworten hellenische Kollektive den Kampf gegen die Ausbeutung und Kommerzialisierung indigener Traditionen wie zum Beispiel die der Lakota durch die New-Age-Bewegung. Folgerichtig lehnen sie das «Neuheidentum», die New-Age-Bewegung und den Okkultismus, Schöpfungen des christlich-esoterischen Monotheismus, ab.[6]

Ebenso wird auf Wikipedia zwischen Hellenismos und dem «Neopaganismus» in Griechenland überhaupt nicht differenziert, wie uns das Bild vom sogenannten «Tempel der Hellenisten in Thessaloniki» in den Wikipedia-Einträgen «Neopaganismus» und «Hellenismos (Religion)» vor Augen führt. Und das wohlgemerkt, obwohl auf der Diskussionsseite zu den Einträgen mehrmals darauf hingewiesen wurde, dass besagter «Tempel» nicht hellenisch ist, sondern zum «Archäozentrismus» gehört. Entsprechende Weblinks wurden zum Abruf bereitgestellt. Selbst der christliche Theologe und Religionswissenschaftler Vasilios Makrides, der sicher nicht zu den Freunden der ethnischen Hellenen gehört und zwischen ihnen und den griechischen «Neuheiden» offenbar nicht unterscheiden möchte, weiß zwischen Hellenen und «Hellenozentristen», wie die Archäozentristen auch heißen, zu trennen (Vasilios N. Makrides: Hellenic Temples and Christian Churches, S. 269, New York/London 2009). Das will den Wikipedia-Autoren anscheinend nicht gelingen.

Der Hellenismos wird auf Wikipedia mit Gruppen in Verbindung gebracht, die ihm genauso fremd sind wie beispielsweise der Islam oder das Mormonentum. Das Einzige, das die hellenische Religion mit den «neuheidnischen» Bewegungen zu verbinden scheint, ist ihr vermeintlich «heidnischer» Charakter, will heißen: sie alle sind nicht christlich. (Wie sie alle auch nicht islamisch, nicht buddhistisch, nicht hinduistisch und nicht jüdisch sind.) Diese Deutung und Klassifizierung unterschiedlichster Kulturen und Traditionen ist ganz offensichtlich von einem christozentristischen Vorverständnis geprägt und kann auf Grund der gegebenen Willkür keinen Anspruch auf Gültigkeit erheben. Die ermittelte Haltung und Beziehung der jeweiligen polytheistischen Religion zum Christentum liefert kaum brauchbare Daten für ihre Klassifizierung oder Identität. Eine nicht-christliche Identität oder Verneinung des Christentums sagt bloß aus, was eine bestimmte Religion nicht ist. Aus der nicht-christlichen Identität einer Religion lassen sich keine essentiellen Gemeinsamkeiten zwischen ihr und anderen nicht-christlichen Religionen konstruieren, die obendrein auch noch eine gemeinsame Religionskategorie bilden sollen. Das gilt in besonderer Weise für den Hellenismos, der nicht nur Kult und Pietät ist, sondern auch die hellenische Bildungstradition (Paideia), die Identität und das identitätsstiftende Ethos der hellenischen Ethnie miteinschließt.[7] Die Religion ist nur ein Element der hellenischen Identität, die nicht auf dieses eine Element reduziert ist. Die Fixierung auf das Religiöse führt dazu, dass der Rest übergangen wird. Den Hellenen geht es bekanntermaßen nicht allein um die traditionelle Götterverehrung, sondern um die Rückkehr zu ihrer eigenen Identität, die eben auch diese Religion umfasst – inwiefern hierin ein «Neuheidentum» ausfindig gemacht werden kann, entzieht sich unserer Kenntnis.

Aber diese Klassifizierung betrifft nicht nur den Hellenismos, sondern auch andere ethnische Religionen wie die Romuva und Dievturi. Darauf wurde weiter oben bereits hingewiesen. Auch in diesen Fällen wird die Kontinuität in der Sprache, in den Sitten und Bräuchen einfach übergangen. Wenn Menschen, die zu ihrer genuinen Kultur zurückkehren, automatisch zu «Neuheiden» werden, nicht etwa Angehörige einer Ethnie, sondern Anhänger einer neuen religiösen Bewegung sein sollen, was sagt das dann über die Lakota aus? Sind das auch «Neuheiden»? Denn gemäß Wikipedia landen Völker oder Gruppen, welche sich auf die ursprüngliche Kultur ihrer Heimat besinnen, automatisch im «Neopaganismus». Aber diese fehlende Einsicht in die Relativität der eurozentristischen Sichtweisen gewährt uns wiederum einen tiefen Einblick in den religionswissenschaftlichen Dilettantismus hinter der Maske der Wertneutralität, die Wikipedia für sich in Anspruch nimmt. Es ist zumindest bedenklich, wenn eine Datenbank, die sich als Enzyklopädie versteht, keinen einzigen Nachweis vorlegt, der die These oder Ansicht stützen würde, dass eine Religion wie der Hellenismos der Kategorie des «Neuheidentums» zugeführt werden müsste. Einen solchen Nachweis kann es wahrscheinlich gar nicht geben. Allerdings kann das nur dann einleuchten, wenn die Geschichte des Hellenismos und die Kontinuität der hellenischen Sprache zur Kenntnis genommen wurde. Kein einziger wissenschaftlicher Beleg wird angeführt, der die Aufnahme des Hellenismos in die Liste mit den «neuheidnischen Bewegungen» rechtfertigen oder zumindest plausibel erscheinen lassen würde. Weshalb sind die ethnischen Hellenen denn «Neuheiden» und nicht etwa Neohinduisten oder Neu-Mormonen? Weshalb soll der Hellenismos zu dieser und nicht zu einer anderen Bewegung gezählt werden? Ich hätte gern die dahinterstehende Logik erklärt bekommen, aber leider war niemand auf Wikipedia bereit, mir vernünftige Antworten auf diese Fragen zu geben. Abgesehen davon zeugt der Artikel von einer außerordentlichen Geschmacklosigkeit und Ignoranz gegenüber der hellenischen Geschichte. Vor dem Hintergrund des kulturellen Völkermordes des Byzantinischen Reiches und seiner Kirche an den Hellenen, kann die Bezeichnung des Hellenismos als «neopagane» Religion im glücklichsten Fall als fehlende Sensibilität aufgefasst werden, wenn nicht als eine Verhöhnung der Opfer, wie sie aktuell von kirchlichen Kreisen betrieben wird, die etwa Juvenalios einen «neuen Götzendiener» und «Neopaganisten» schimpfen. Schließlich ist der «Paganismus» eine von den alten Christen eingeführte Bezeichnung für die traditionellen Kulte, die damit gedemütigt und in die Gosse gezogen werden sollen. Nicht zu vergessen, dass die Kirche in Griechenland die Hellenen weiterhin als «Neuheiden», «Götzendiener» und «Teufelsanbeter» denunziert. Eine derartige Bezeichnung der ethnischen Hellenen gleicht der «Bezeichnung» der Afro-Amerikaner als «Neger», der Juden als «Christusmörder» oder der Lakota als «Wilde». Es ist an der Zeit, dass die Verfasser von Wikipedia-Einträgen und die Herausgeber echter Enzyklopädien über die Herkunft, den Sinn, Gebrauch und die Wirkung solcher Bezeichnungen, die wie selbstverständlich gebraucht werden, reflektieren. Genau besehen ist die Bezeichnung anderer Menschen als «Paganisten» (mit oder ohne Suffix) eine Ungeheuerlichkeit. Der Sinn der Wissenschaft ist schließlich nicht die Perpetuierung von Vorurteilen. Aber das erinnert uns eigentlich nur daran, dass Wikipedia keine neutrale Quelle ist. Das wird schon zu Beginn des Artikels klar. Aber, dass die entfremdenden und aus einer anderen kulturellen Perspektive herrührenden Begriffe «Neopaganismus und Neuheidentum … vom Hellenismus und einigen altheidnisch-germanischen und neokeltischen Gruppen … als pejorative Fremdbezeichnungen völlig abgelehnt» werden, scheint letztlich auch auf Wikipedia zur Kenntnis genommen worden zu sein. Weiter heißt es: «Als Eigenbezeichnung favorisieren diese, wie auch Teile der Wicca-Bewegung, den Begriff ‹Alte Religion oder ‹Naturreligion». Diese Aussage ist wiederum falsch. Es wird wohl seine Gründe haben, dass auch diese Aussage von keinem Nachweis begleitet wird.

Schon der Ausgangspunkt ist falsch oder im besten Fall unglücklich gewählt. Der Hellenismos ist keine «religiöse Bewegung», sondern die Kultur und Lebensweise der Hellenen, ihre Identität. Deshalb entspricht er nicht der Definition des «Neopaganismus», die uns der Duden oder die Enzyklopädie Britannica liefert. Er ist nicht «modern» und seine «nichtchristliche Religiosität» (Duden) macht ihn nicht «neopagan», andernfalls müssten alle als modern geltenden nichtchristlichen Religionen als «neopagan» bezeichnet werden. Außerdem ist er keine «spirituelle» oder irgendeine andere Art von «Bewegung», versucht nicht, eine «antike Religion» wiederzubeleben und hat mit «Ritualmagie» und «Hexerei» (Britannica) nicht das Geringste zu schaffen. Der zeitgenössische Hellenismos verdankt seine heutige Existenz zwar der Rehellenisierungsbewegung, jedoch stellt er selbst keine Bewegung dar. Die Rehellenisierungsbewegung selbst wird zu den europäischen Revitalisierungsbewegungen gezählt und unterscheidet sich als solche fundamental vom «Neopaganismus» (Evgenia Fotiou, «We are the Indians of Greece»: Indigeneity and Religious Revitalization in modern Greece, CrossCurrents, Juni 2014, S. 219). Die Hauptträger und Repräsentanten des Hellenismos sind der Oberste Rat der ethnischen Hellenen (YSEE) und die Kultgemeinschaft LABRYS. Beim YSEE handelt es sich im Kern um eine nativistische Bewegung. Eine nativistische Bewegung ist jedes «bewusste, organisierte Bestreben von Mitgliedern einer Gesellschaft, ausgewählte Aspekte ihrer Kultur zu revitalisieren oder weiterzuführen» (Ralph Linton: Nativistic Movements, in: American Anthropologist, Band 45, Nr. 2, S. 230, 1943). Diese «Bewegung» wurde von Kaiser Julians Restaurationspolitik angestoßen und von Plethon fortgesetzt. Zwar stellt die Rehellenisierung keine ungebrochene Bewegung dar, zumindest lässt sich das Gegenteil aufgrund fehlender Verbindungslinien schwer nachweisen, sondern vielmehr einen polydimensionalen organisierten Handlungsstrang, der nur ein einziges Ziel kennt: die Wiederherstellung der hellenischen Kultur. Der Aufsatz der Anthropologin Dr. Evgenia Fotiou ist diesbezüglich von erhellender Bedeutung.

Der Hellenismos wurde von Menschen wiederhergestellt, die sich auf den Weg zu ihrer eigenen Kultur und zu ihrem «väterlichen Ethos» machten. Zur Kultur Griechenlands. Ihm geht es um die Revitalisierung dieser Kultur, die eben auch die hellenische Religion miteinschließt. Das alles steht in keiner signifikanten Relation zum «Neuheidentum» oder zum Okkultismus («moderne nicht-christliche Religiosität»), welche keine traditionellen Religionen, sondern eher Sammelbegriffe für religiöse Gruppen, Praktiken und Anschauungen des Okzidents darstellen. «Neuheiden» und Okkultisten sind weder Ethniker noch kümmert sie die Restauration von indigenen Religionen. Zudem ist ihre Nähe zum jüdisch-christlichen Monotheismus evident, selbst wenn dies gelegentlich verleugnet wird. Doch kommt diese Verleugnung nicht von ungefähr. «Die Verleugnung gehört zur Industriegesellschaft», stellt der deutsche Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch Die Angst vor Nähe fest (S. 142, Reinbek bei Hamburg 1985). Beide sind Geschöpfe der christlichen Welt. Aber die hellenische Kultur ist eine Alternative zum Christentum, zum Abendland, seinen religiösen Splittergruppen oder parachristlichen Bewegungen. Gerade weil er eine Alternative zum Christentum, seinen Werten, Prinzipien und seiner Kultur insgesamt ist, kann der Hellenismos nicht allen Ernstes mit Gruppen assoziiert werden, die zum Abendland gehören, andere Ziele verfolgen und Theologien anhängen, die von Okkultisten entworfen wurden (etwa den Duotheismus[8]). Bereits an diesem Punkt stoßen wir auf Dissonanzen, die erhebliche Zweifel an der Klassifizierung des Hellenismos aufkommen lassen müssten. Zweifel, die eine tiefergehende Recherche der behandelten Materie anregen. Doch trotz fehlender Belege besteht Wikipedia weiterhin auf die These: der Hellenismos ist ein «Neuheidentum». Schauen wir uns also die Ziele genauer an, die laut Wikipedia für das «Neuheidentum» «zentral» sind.

«Aussagen und Ziele» (Wikipedia: Neopaganismus)

Die zentralen Ziele des «Neuheidentums» sind gemäß Wikipedia folgende: 1. Schutz der Umwelt, 2. «Erleben der Kräfte der Natur, die sich in Gestalt der Göttinnen und Götter anrufen lassen», 3. «besondere Bedeutung des weiblichen Prinzips», 4. «Abwendungen von einer Priesterreligion, Betonung des direkten Glaubenserlebnisses und dezentrale Organisationsform», 5. «kein dogmatisches Glaubensbekenntnis, stattdessen individualisiertes Erleben von Gläubigkeit und Vielfalt gleichberechtigter Kulte», 6. «möglichst naturnahe Lebensweise in einer hoch technisierten» Welt, 7. Kritik an monotheistischen Religionen wie dem Christentum, 8. «weltweite Verbreitung neuheidnischer Kulte als Glaube an viele Gottheiten, in Europa Bezug auf germanisches, keltisches, wendisches Neuheidentum, in Amerika auch Bezug auf indianische Stammesreligionen», 9. «Betonung der Freiheit des Einzelnen».

Wikipedia stützt sich hier auf zwei Quellen, die beide nichts über den Hellenismos aussagen: 1.) die private Webseite eines gewissen Eric S. Raymond: Neopaganism-FAQ und 2.) Kathrin Fischer: Das Wiccatum: Volkskundliche Nachforschungen zu heidnischen Hexen im deutschsprachigen Raum (Würzburg 2007). Raymond stützt sich wiederum auf Veröffentlichungen von Margot Adler, Starhawk, Robert Shea und Robert Anton Wilson, Joseph Campbell und Isaac Bonewits, die in der «amerikanischen neuheidnischen Szene» hohes Ansehen genießen, aber für den Hellenismos irrelevant sind, zumal sie den meisten ethnischen Hellenen unbekannt sein dürften. Die «Aussagen und Ziele» selbst sind für den Hellenismos irrelevant, zumindest sind sie für ihn nicht charakteristisch. Aber immerhin sind diese Quellen ein Fortschritt, denn in der früheren Version des Artikels wurden zu den «Aussagen und Zielen» überhaupt keine Quellen hinterlegt. Aber nun zu den «Aussagen und Zielen» selbst:

1. Der Schutz der Umwelt ist den ethnischen Hellenen wie allen anderen verantwortungsbewussten Menschen ein wichtiges Anliegen, nicht nur aus Respekt gegen die Oreaden und Dryaden, sondern auch wegen unserer Verantwortung gegenüber unserer Heimat und den zukünftigen Generationen, die es sicher nicht verdienen, toxische Müllberge zu erben. Aber das ist kein ausschließlich «neuheidnisches» oder hellenisches Anliegen, sondern eher ein Gebot der Vernunft, dem auch Christen, Muslime und Juden folgen 2. Das würde nur dann auf den Hellenismos zutreffen, wenn seine Götter personal gedachte Naturkräfte wären. Wer die raue Natur erleben will, der braucht keinen Hellenismos; mit einem Skiurlaub, Bergsteigen oder Surfen wäre ihm am besten gedient. 3. Ein solches «Prinzip» interessiert nicht. Unsere Götter sind geschlechtslos und die aus der Zeit gefallene Frage nach der Gleichstellung von Frau und Mann wird mit der Aussage beantwortet, dass sie vorliegt, unabhängig davon, ob Gesellschaften sie anerkennen oder bestreiten. 4. Der Hellenismos war nie eine Priesterreligion, dennoch ist er organisiert. Im Mittelpunkt steht nicht der «Glaube», sondern die Opferriten. 5. Das Hellenentum ist kollektivistisch strukturiert. Das bedeutet, dass die Gemeinschaft an erster Stelle steht und dem Individuum übergeordnet ist 6. Kommt darauf an, was man unter «natürlich» versteht. Wir definieren als natürlich, was von Natur aus gegeben war und vom Monotheismus zerstört wurde («Ethnozid»): dass jedes Volk seine eigene Identität hat («Ethnismus») und eine seinen ureigenen Sitten entsprechende Lebensweise pflegt. Davon kann heute keine Rede sein, zumindest nicht in Europa. Diese natürliche Vielfalt der Ethnosphäre muss wiederhergestellt werden. Natürlich ist, dass die Völker ihrem genuinen Ethos folgen, nicht einer Identität, die ihnen aufgezwungen wurde. 7. Man versucht den kulturellen, politischen und religiösen Monotheismus zu überwinden, nicht zu kritisieren. Es würde den Völkern zum Vorteil gereichen, wenn sie erfahren, wie ihre Ahnen christianisiert wurden und dass die Christianisierung in vielen Fällen eigentlich nichts weiter war als eine kulturelle Massenvernichtung; durch die Rehabilitierung ihrer genuinen Traditionen sollen sie in die Lage versetzt werden, zu ihren ureigenen Kulturen zurückzukehren, falls dies möglich und erwünscht ist. 8. Wird auf keinen Fall beabsichtigt. Wünschenswert wäre eine Rückkehr der Völker zu sich selbst und zu ihren eigenen Kulturen, Wertesystemen und Religionen, nicht zu neuen religiösen Bewegungen. Der «Bezug auf indianische Stammesreligionen» ist zwar evident, wird aber von den amerikanischen Ureinwohnern, die für diesen Bezug nicht verantwortlich sind, nicht begrüßt. Die Hellenen sehen es wie die Lakota-Indianer: Symbole, Götter und Mythen ihres Volkes sollten nicht verzerrt, kommerzialisiert, der Lächerlichkeit preisgegeben und mit widersinnigen Inhalten besetzt werden. 9. Das Gemeinschaftswesen wird betont. Freiheit kann nur dann existieren, wenn die Gedanken in unseren Köpfen tatsächlich unsere eigenen sind, der Geist nicht vom Eroberer «indoktriniert» wurde. Der Mensch wird nicht als «Person» gesehen, sondern als Mitglied einer Gemeinschaft (Familie, Sippe, Stamm, Polis usw.), für die das Gemeinwohl an erster Stelle steht.

Ziele hellenischer Kollektive

Aus den obigen Kommentaren zu den Zielen des «Neuheidentums» wird ersichtlich, dass den Hellenismos andere Fragen bewegen. Daher hat er auch andere Ziele: Verständnis für alle anderen ethnischen Kulturen. Gesellschaftliche Anerkennung des hellenischen Ethnozids. Anerkennung des Hellenismos als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Griechenland. Bau eines hellenischen Tempels, öffentlicher Altäre und Heiligtümer. Bau einer polytheistischen Bibliothek. Gründung einer hellenischen Schule in Athen. Förderung des griechischen Theaters. Unterweisung in Altgriechisch. (Vlassis G. Rassias über die Anerkennung der hellenischen Religion und Tradition, YouTube, Kanal: hellenismostv, Upload: 05. April 2014; siehe auch: Ziele.) Wie wir an den Zielsetzungen des Hellenismos erkennen können, sind die erheblichen Unterschiede zwischen Hellenismos und «Neuheidentum» nicht von der Hand zu weisen, denn dafür sind sie zu offensichtlich. Als sich mehrere hellenische Kollektive zum YSEE zusammenschlossen, geschah dies nicht der Förderung oder Betonung des «weiblichen Prinzips» oder der Naturverbundenheit wegen. Die Gründe waren der Schutz der hellenischen Tradition, die Rückkehr zur eigenen Kultur und die Verteidigung des Hellenentums vor seinen Gegnern. Das sind Ziele, für die viele Hellenen in Griechenland große Risiken eingegangen sind.

Es stellt sich also die berechtigte Frage, wie eine Tradition wie der Hellenismos «neuheidnisch» sein kann, wenn er sich vom «Neuheidentum» unterscheidet? Das «Neuheidentum» ist keine ethnische Religion, hat keine indigene Identität oder antike Wurzeln. Das «Neuheidentum» ist keine Alternative zum Abendland oder zur Romiosini und nicht an der Restauration der Ethnosphäre interessiert. Das «Neuheidentum» ist nicht im Europäischen Kongress der ethnischen Religion (ECER) vertreten und seine Verbände widmen sich gänzlich anderen Zielen. Das «Neuheidentum» speist sich aus dem Okkultismus, der New-Age- und New-Thought-Bewegung, deren Pioniere alles Christen gewesen sind (Cornelius Agrippa von Nettesheim, William Wynn Westcott, Samuel Liddell MacGregor Mathers, William Robert Woodman, Doreen Fortune und viele andere mehr). Wo soll es da Überschneidungen geben? Als ich auf Wikipedia auf diese Fakten aufmerksam machte, wurde ich darüber unterrichtet, dass alle antiken Religionen, die in der heutigen Zeit rekonstruiert wurden, «neuheidnisch» seien. Wie kann es aber ein neues (noch dazu romantisch verklärtes) «Heidentum» geben, wenn es kein altes «Heidentum» gegeben, jedes vermeintliche «Heidentum» nur in den Köpfen der Monotheisten existiert hat? Weiß man denn nicht, dass der «Paganismus» eine Erfindung der Monotheisten? Das vergleichsweise neutralere «Heidentum» entstammt der gleichen Quelle und beschränkt sich übrigens nicht auf die Religion. «Der sehr komplexe, sowohl den religiösen Kult wie die Intelligenz umfassende Begriff ‹Heidentum […] entstammt der Theologie, geht auf spätjüdisch-neutestamentliche Zeit zurück.»[9] Folglich kann es sich beim «Neuheidentum» nur um eine andere religiöse Strömung handeln, eben um eine neue, keine antike. In diesem Sinne wäre es ehrlicher, wenn wir von «Neu-Okkultismus» sprechen würden. Den Hellenismos gab es aber schon vor der Moderne. Wahrscheinlich haben die Verfasser des Eintrages nie davon gehört, dass die Bewohner des Dorfes Eleusis bei Athen bis ins 19. Jh. der «heiligen» Demeter huldigten (I. Kakridis: Die alten Hellenen im neugriechischen Volksglauben, München 1967). Ganz zu schweigen von anderen Dingen, die ihrer Aufmerksamkeit entgangen sind. Aber wenn das «Neuheidentum» tatsächlich ein Sammelbegriff für rekonstruierte ethnische Religionen sein soll, wie erklärt sich dann die Präsenz des Wicca-Kultes, des «Hexenglaubens» oder Thelemas im Artikel? Sind das auch antike, rekonstruierte ergo «neopagane» Religionen? Der Artikel zeugt von einer extrem schlechten Kenntnis der Materie. Die zu bemängelnden Wissenslücken über die Geschichte des Hellenismos lassen nur eine Schlussfolgerung zu: eine vorausgehende Recherche und Auseinandersetzung mit den ethnischen Hellenen hat es nicht gegeben. Das zeigt sich deutlich in der Einbindung eines Bildes in den Artikel, das einen angeblich «modernen griechischen Tempel» zeigt, der in Wahrheit ein «Tempel» der neugriechischen E(psilon)-Bewegung ist.[10] Epsilon ist der fünfte Buchstabe des griechischen Alphabets und der erste Buchstabe der griechischen Wörter für Hellene und Hellas. Die E(psilon)-Gruppe ist eine in den 1990er-Jahren formierte nationalistisch-mystizistische Bewegung in Griechenland, die sich mit der hellenischen Religion im Konflikt befindet.[11][12] Sie vereinigt in sich eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente, die in ein zentrales soteriologisches Motiv münden. Der «Tempel» der Epsilonisten in Thessaloniki wird also als Tempel der Hellenisten ausgegeben, obwohl der Hellenismos noch keinen eigenen Tempel besitzt. Eine kurze Anfrage beim YSEE hätte dies bestätigen können. Ein Blick auf die Bilder von griechischen Tempeln hätte es aber auch getan. Griechische Tempelarchitektur sieht etwas anders aus. Jedenfalls lässt sich besagter «Tempel» weder dem korinthischen noch dem ionischen oder dorischen Stil einordnen, aber er entspricht auch nicht dem Stil, den heutige Hellenen aufgrund von finanziellen Zwängen bevorzugen.

Hinter dieser Darstellung des Hellenismos könnte Absicht stecken. Ich möchte keine voreiligen Vorwürfe oder Beschuldigungen erheben, aber in jüngster Vergangenheit wurden ganz ähnliche Aktionen von orthodoxen Fundamentalisten und Nationalisten ausgeführt. Die hatten offenbar nichts Besseres zu tun, als diverse griechische Foren zu infiltrieren, um durch Behauptungen und Falschmeldungen den Hellenismos zu diskreditieren und in die Nähe der E(psilon) zu rücken.[13] Selbstverständlich behaupten auch sie, dass der Hellenismos eine «neopagane» Religion oder Sekte sei. Aber die Verleumdungskampagnen gegen den (von «jüdischen und anderen fremden Mächten gesteuerten») «neuen Götzenkult», wie sie den Hellenismos nennen, beschränken sich in aller Regel auf Griechenland und Zypern. Deshalb scheint mir der Fall Wikipedia eher der Ignoranz ihrer Autoren geschuldet zu sein, trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück. Gute, saubere Recherche sieht jedenfalls anders aus. Indes ist Wikipedia ist nur ein Beispiel von vielen und sicher nicht die Ursache des Problems. Wikipedia ist vielmehr ein Symptom. Diese Tragikomödie findet auf vielen weiteren Webseiten eine Plattform. Im Internet jagt ein religionswissenschaftlicher Dilettantismus den anderen. Der Hellenismos wird als alles Mögliche bezeichnet, die hellenischen Polytheisten werden mal in diese, mal in jene Ecke gestellt, auch auf Web- oder Nachrichtenseiten, die durchaus neutral sind. In einem Artikel über die hellenischen Polytheisten heißt es etwa: «Manche sind griechische Nationalisten, andere New Age Traditionalisten» (Why Does This Religion Worship Forgotten Gods?, World Religion News, 22.10.2017). So wird Wirklichkeit konstruiert. Was ist hier passiert? Wahrscheinlich wurde die allgemeine Außenperspektive übernommen. Wir wollen Journalisten nicht in ihre Arbeit reinreden oder erklären, wie sie ihren Job zu machen haben. Aber wir erwarten schon eine saubere Arbeit und gute Recherche. Denn Artikel haben Auswirkungen. Wir Hellenen können solche falschen Behauptungen nicht unkommentiert lassen, denn sie behindern die Rehabilitierung unserer Tradition. Sie zeichnen ein lächerliches Bild von der Realität, dessentwegen die Gefahr besteht, von der Weltgemeinschaft nicht ernst genommen zu werden. Jedoch kann keine Bewegung auf Unterstützung aus der Bevölkerung hoffen, wenn sie absurd erscheint. Deshalb die Fragen, die von den Autoren solcher Berichte oder Einträge beantwortet werden sollten: 1. Wenn es bereits früher keinen «Paganismus» gab, wie kann es dann heute einen neuen «Paganismus» geben? 2. Wie kann eine Religion, die den «Neopaganismus» ablehnt oder ihm grundlegend widerspricht, ihm nahe stehen, sogar zu ihm gehören? Ich würde mir wünschen, die betroffenen Verfasser würden über diese Fragen nachdenken. Es wäre auch für sie ein Gewinn, wenn sie den Wert oder die Aussagefähigkeit solcher Begriffe hinterfragen würden.

Was verbindet eigentlich den «Neopaganismus», ein neues religiöses Phänomen, mit den ethnischen Religionen Europas? Nichts, lautet unsere Antwort.[14] Nicht nur die Ziele, auch die Weltanschauung ist eine andere; nichts Essentielles eint den europäischen Polytheismus mit dem «Neopaganismus». Es liegt weder eine gemeinsame neuere Geschichte noch eine Terminologie oder ein gemeinsames Wertesystem vor. Es besteht nicht einmal eine Verwandtschaft zwischen diesen Gruppen und den ethnischen Religionen Europas. So lehnte Ralph Harrison (alias Ingvar), Oberhaupt der «Odinist Fellowship», eine Zusammenarbeit mit okkultistischen und «neuheidnischen» Bewegungen ab, wegen der Gefahr, eben mit diesen Bewegungen verwechselt zu werden.[15] Hellenische Organisationen schließen den Dialog mit «neuheidnischen» Gruppierungen zwar nicht aus, dafür aber die Zusammenarbeit mit ihnen. Der YSEE kooperiert nur mit ethnischen Religionen, vorzugsweise mit denen, die wie er selbst im Europäischen Kongress Ethnischer Religionen vertreten sind. Weshalb auch mit Gruppen zusammenarbeiten, die einem genauso fremd sind wie beispielsweise die Zeugen Jehovas oder die Mormonen? Eine Zusammenarbeit ergäbe nur dann einen Sinn, wenn das Anliegen beider Seiten das gleiche wäre. Aber nicht nur die Ziele unterscheiden sich. Auch ihre konkreten Probleme sind andere. Negative Erfahrungen mit «neuheidnischen» Gruppen spielen sicherlich auch eine Rolle. Kurz: Es gibt schlicht keinen Grund für eine Zusammenarbeit, weil es unterschiedliche Interessen gibt. Tatsächlich ist der «Neopaganismus» keine Wiederbelebung antiker Religionen, sondern eine moderne religiöse Bewegung, unterfüttert mit Versatzstücken aus den ethnischen Religionen und einer besonderen Nähe zum Okkultismus.

Ein weiterer Grund für diese Haltung ist der diametrale Widerspruch zwischen der hellenischen Weltanschauung und dem «Neuheidentum». Man braucht nur hellenische mit «neuheidnischen» Foren oder Publikationen zu vergleichen, um auf die unüberbrückbaren Interessen und Bezugssysteme zu stoßen. Außerdem steht der Hellenismos dem «Neuheidentum» und dem Okkultismus eher ablehnend oder zumindest kritisch gegenüber. Nicht zu vergessen, dass wesentliche Konzepte und Vorstellungen in Okkultismus und «Neuheidentum» aus der christlichen Welt stammen oder deutlich unter ihrem Einfluss stehen.[16] Deshalb fällt es so vielen Okkultisten und «Neuheiden» schwer, die ethnischen Götter der Griechen und ihren Polytheismus zu verstehen, denn sie schauen aus einem falschen, der historischen Wirklichkeit inadäquaten Blickwinkel auf sie, weswegen sie immer bei Deutungen landen, welche zu Sackgassen führen, eben weil ihnen das nötige Verständnis und die kulturelle Innenperspektive fehlt. «Neuheidnische» Konzepte («Annehmen der Gottform», «Arbeiten mit Göttern») und Begriffe («weicher Polytheismus», «Rekonstruktionismus», «Revivalismus») sind den meisten Hellenen fremd; sie haben nie davon gehört. Die US-amerikanische Hellenisten kennen z.B. den «Rekonstruktionismus», verstehen ihn aber als eine Wiederherstellungs-Methode, nicht als eine «Ausrichtung» innerhalb des «neopaganen» Spektrums. Abgesehen davon entwickelte sich der heutige Hellenismos unabhängig vom «Neuheidentum», lange vor dessen Entstehung. Seine Startbedingungen waren andere und die Erfahrungen der Verfolgung und des Kulturmords prägen bis in unsere Zeit die Bewusstheit der ethnischen Hellenen. (Nicht von ungefähr heißt es auf dem Cover der digitalen Version des Memorandums des YSEE an den griechischen Staat: «Wir sind die Indianer Griechenlands».[17] Viele Hellenen studierten den indianischen Widerstand und fühlen sich der AIM verbunden. Es gibt zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den Ureinwohnern Nordamerikas und den ethnischen Hellenen.[18])

Die Rehellenisierungsbewegung und der zeitgenössische Hellenismos sind nicht nur älter als das «Neuheidentum», was einer Identifikation bereits widerspricht, sondern entstammen auch einer völlig anderen Welt, einer kollektivistischen. Das «Neuheidentum» hingegen ist extrem individualistisch, befolgt keine ethnische Orthopraxie, orientiert sich nicht am antiken Tugendsystem oder am hellenischen Ritualismus. Außerdem ist das «Neuheidentum» nicht an der Überwindung des kulturellen, politischen und religiösen Monotheismus interessiert (eine Überwindung des Monotheismus durch eine parachristliche Bewegung wäre sinnlos) und lässt auch keine Nähe zum antiken Wesen erkennen. Es orientiert sich nicht an die historische Wirklichkeit noch wird der Aufbau einer harmonischen Beziehung zum Ursprünglichen als wichtig erachtet. Richtig ist, was sich «gut» anfühlt, die eigene Kreativität anspricht, nicht, was historisch korrekt, möglich, wahrscheinlich oder den «väterlichen Sitten» entspricht. Das ist nicht per se schlecht, aber es ist etwas anderes als das, was der Hellenismos vertritt. Wird diese Mentalität angesprochen und vom traditionellen Polytheismus differenziert, fühlen sich manche «Neuheiden» und Okkultisten gleichermaßen vor den Kopf gestoßen. Vom Recht der Selbstdefinition ist dann die Rede oder vom Dogmatismus der «anderen». Die eigene Inszenierung wird nicht überdenkt, was aber dringend geboten wäre.

2. «Neo-Hellenic Polytheism»

Dieses für das «Neuheidentum» typische Charakteristikum zeigte sich aufs Neue bei der Gründung einer neuen «neuheidnischen» Strömung, die sich den Namen «Neo-Hellenischer Polytheismus» (im Folgenden NHP) gab. Der «NHP» wurde vom amerikanischen «Neuheiden» und Okkultisten Chris Aldridge erfunden, der den hellenischen Polytheismus als «Glaube an die griechischen Götter» auslegt. Wer ausschließlich das griechische Pantheon verehrt, der sei, so Aldridge, ein hellenischer Polytheist. Dass es in der hellenischen Religion nicht um «Glauben», aber um die Praxis «nach väterlicher Sitte» geht, schien er nicht verstanden zu haben.

Zusammen mit seiner Frau eröffnete er 2010 den «Temple Of The Greek Gods» in North Carolina. Dort verehrte er und eine kleine Anzahl Gleichgesinnter die griechischen Götter auf «neuheidnische» Weise, praktizierte «neopagane» Rituale und bot Interessierten an, für sie die Tarot-Karten zu legen. Es bedarf nicht viel, um zu erkennen, dass der NHP nur eine von sehr vielen «neuheidnischen» Gruppierungen darstellt, die sich ägyptisch, keltisch, germanisch usw. nennen, ihre Zeremonien und Ritualstrukturen aber aus dem Fundus des Okkultismus entnehmen. Ein Etikettenschwindel. Mit der Tradition der Hellenen hat das freilich wenig gemein. Als diese Gruppe so weit ging, sich als Teil der hellenischen Religion zu präsentieren (nicht des «Neuheidentums»), die hellenische Religion neu definierte, nämlich aus einem «rekonstruktionistischen» (Hellenismos) und einen «lockeren» (NHP) Teil bestehend (dabei ist der Hellenismos keine Strömung, sondern die Bezeichnung für die hellenische Tradition) und sogar die «neuheidnische» Magie (!) zu einem zulässigen Element der hellenischen Religion erklärte, was die «neopagane» Identität dieser Gruppe einmal mehr unterstreicht, ist sie auf den massiven Widerspruch der sich allmählich zu Wort meldenden US-hellenischen Polytheisten gestoßen. Der Streit wurde öffentlich im Internet, im Forum des amerikanischen Hellenisten Timothy Jay Alexander ausgetragen. Die Hellenisten in den USA waren nicht bereit, den Missbrauch oder Verfälschung ihrer Religion durch außenstehende Dritte einfach hinzunehmen. Im Kern ging es ihnen darum, die Verbreitung von falschen Informationen zu verhindern oder besser gesagt Behauptungen anzufechten, die ein verzerrtes Bild vom Hellenismos skizzieren.

Der Versuch dieser «Neuheiden» im Hellenismos anzudocken, wurde abgeschmettert und die vermeintliche Nähe dieser Gruppe zum Hellenentum von hellenischer Seite rigoros abgestritten. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Verfremdung oder Verfälschung des Hellenismos durch die New-Age-Bewegung, wie wir sie bei anderen Ethnien bereits beobachten können. Im Streitgespräch zwischen Chris Aldridge und Timothy Jay Alexander, dem profiliertesten Hellenisten der USA, wurde ein klares Signal, nämlich das der Differenz zwischen beiden Seiten, an die Öffentlichkeit gesendet. Das raue Gesprächsklima zwischen diesen «Neuheiden» und den hellenischen Polytheisten der USA trug das Seinige dazu bei, die Differenz nach außen zu akzentuieren. Nachdem der Annäherungsversuch scheiterte, zog sich der «NHP» in die «neopagane Community» zurück, wo er auch eigentlich hingehört. Fronten geklärt? Weit gefehlt. Auch nach dem im Internet ausgetragenen Streitgespräch zwischen mir und Chris Aldridge, behauptete Letzterer weiterhin, eine Form des hellenischen Polytheismus zu praktizieren.

Die Gründer des «NHP» warfen den hellenischen Polytheisten Dogmatismus und Intoleranz vor – und das alles nur, weil die Hellenisten kein «Neuheidentum» in ihrer Religion wollten. Nach dieser Logik müssten die Hindus ebenfalls intolerant sein, weil sie den Islam nicht in ihre Religion integrieren. Wahrscheinlich verstanden Aldridge und seine Frau die Bedeutung der Begriffe «Hellenismos» und «Tradition» nicht oder sie waren nicht willens zu akzeptieren, dass der Hellenismos kein offenes Feld ist, wo jedermann seinen Stand aufbauen und seine Ware anbieten kann. Die hellenische Religion ist eine kulturspezifische Religion und im Zentrum der griechischen Kultur zuhause. Das «Neuheidentum» – in welcher Form auch immer – ist vieles, nur nicht hellenisch. Es gehört nicht zum Hellenismos, genauso wenig wie das Christentum oder das Judentum. Dieses befremdliche Gehabe, oft zu beobachten im «Neuheidentum», wo der eine angeblich «intolerant» ist, weil er seine Identität nicht verfremdet und in ihr Gegenteil gekehrt sehen will, trägt im Hellenismos nicht und wird von Hellenisten nicht akzeptiert. Genau betrachtet, verhält es sich gerade umgekehrt: es ist die «neopagane» Intoleranz und Abneigung gegen Heterogenität, die sich langsam aber sicher zu einer Gefahr für die ethnischen Religionen entwickelt; sie schlägt zu, wenn die betroffene Tradition bereits beschädigt ist oder am Boden liegt, schlachtet sie aus, zieht ihr das Fell ab und streift es sich selbst über. In gewisser Hinsicht manifestiert sich in der New-Age-Bewegung der weltanschauuliche Arm des herrschenden Kulturimperialismus, unter dem vor allem die Kulturvölker leiden.

Aldridge und seine Gattin begnügten sich nicht damit, Videos auf YouTube zu laden, Interviews zu geben oder Publikationen zu veröffentlichen. Nein, sie gingen auch dazu über, Texte aus ihrer damaligen Webseite im Artikel der englischsprachigen Wikipedia über den Hellenismos einzufügen, vermutlich um das Bild vom hellenischen Polytheismus zu prägen und die hellenische Religion indirekt zu definieren. Später wurde der Abschnitt wieder aus dem Artikel gestrichen. Sie missachteten die Wünsche der hellenischen Polytheisten, den Namen ihrer Religion nicht zu missbrauchen und die Ablehnung des «Neuheidentum» durch die hellenische Tradition endlich zu akzeptieren. Zwar nannten sie den «Tempel der griechischen Götter», geschmückt mit Gaia-Figuren im New-Age-Stil, eine Zeit lang weiterhin so, doch wurden sie in ihren Aussagen vorsichtiger. Es verging nicht viel Zeit, bis sie schließlich die Schließung des Tempels verkündeten, doch behaupteten sie nach wie vor, dass die ausschließliche Verehrung der griechischen Götter hellenischer Polytheismus sei. Die Art und Weise, wie dieser praktiziert wird, ist anscheinend egal. Man kann die Götter also auf griechische, christliche oder islamische Weise verehren, es spielt keine Rolle: es ist und bleibt hellenischer Polytheismus. Als ich Aldridge bat, mir einen wissenschaftlichen Nachweis zu bringen, wonach sein «Neuheidentum» Teil der griechischen Religion gewesen oder von den Griechen praktiziert wurde und deshalb als Teil der griechischen Religion betrachtet werden kann, bekam ich bloß die Antwort, dass es viele Wege gab, den Hellenismos zu praktizieren. Das stimmt. Aber im Gegensatz zum «NHP» waren alle diese Wege genuin griechisch und bildeten in ihrer Synthese die Kultweise der hellenischen Ethnie. Ob ich nun den spartanischen, arkadischen, korinthischen, delischen oder athenischen Weg nehme, alle waren sie Glieder derselben Kultur und sahen die Verehrung der griechischen Götter auf griechische Weise vor. Wie in allen ethnischen Religionen waren auch diese vielen Wege lokale Ausprägungen einer gemeinsamen Kultur und bildeten das Selbstverständnis und die besondere Tradition der jeweiligen Polis. Das «Neuheidentum» hingegen wurde nicht von den Griechen praktiziert. Und da der Begriff Griechische Religion die religiösen Anschauungen und Riten der alten Griechen meint (Enzyklopädie Britannica, Stichwort: greek religion), kann kein «Neuheidentum» der Welt dazu gezählt werden. Schon der Vergleich ist grotesk. Eigentlich ist es ganz simpel: das «Neuheidentum» stammt nicht aus Hellas, wurde nicht von den Griechen praktiziert, kommt in der Geschichte der hellenischen Ethnie nicht vor und kann daher auch nicht in der wiederhergestellten hellenischen Tradition vorkommen. Und über die Einordnung des Hellenismos in die «neuheidnischen Bewegungen» brauchen wir auch nicht sprechen, eben weil sie indiskutabel ist. Das Christentum brachte den Terror, der Okkultismus den christlichen Obskurantismus im scheinwissenschaftlichen Gewand, das «Neuheidentum» die Verfinsterung und die New-Age-Bewegung die Ausplünderung bzw. Kommerzialisierung der ethnischen Religionen. Und noch bevor letztere sich wieder auf die Beine stellen können, werden sie von links und rechts vereinnahmt und willkürlich von oben herab allerlei Bewegungen zugeordnet.

Im Verlauf des weiteren Gesprächs erklärte Aldridge, dass mir die Götter nicht gehören würden und ich intolerant sei, denn ich würde hellenische Polytheisten, die anders praktizieren, als ich es tue, nicht als solche gelten lassen. Dass es hier um die historisch und kulturell korrekte Art der Verehrung der Götter geht, schien er nicht begreifen zu können, weil er offensichtlich immer noch am «neopaganen» Paradigma festhielt, was er übrigens gar nicht abstritt. «Meine» oder «deine» Art zu praktizieren gibt es nicht, sondern nur die Art und Weise der hellenischen Ethnie zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Orten, schließlich war die hellenische Religion keine statische Größe. Der Hellenismos ist die historisch bekannte Religion der Griechen, die eben genau diese auch sein muss, um so heißen zu dürfen. Alles andere wäre unehrlich. Der hellenische Polytheismus ist die Verehrung der griechischen Götter auf griechische Weise. Andernfalls würde die hellenisch-polytheistische Tradition nicht Hellenismos[19] heißen. Kaiser Julian verlieh der hellenischen Tradition gerade deshalb diesen Namen, weil diese sich nicht «aufs Theologische beschränkt», sondern vielmehr «die gesamte vom Griechentum geprägte Bildung und Kultur, auch die ethischen und staatspolitischen Vorstellungen» umfasst.[20] «Neuheidnische» Vorstellungen und Praktiken gehörten selbstverständlich nicht zur griechischen Kultur. Aldridge und seine Frau erklärten zu einem späteren Zeitpunkt, dass sie ihre Gruppe gerade deshalb «Neo-Hellenic Polytheism» nannten, weil sie zwischen sich und den «Rekonstruktionisten» differenzieren wollten. Der Hellenismos kann aber nur das sein, was die «Neuheiden» «rekonstruktionistisch» nennen, wobei der Begriff des «Rekonstruktionismus» im Falle des Hellenismos deplatziert ist, schließlich haben wir es hier mit einem ganz anderen Phänomen zu tun: nämlich mit Revitalisierung und Re-Indigenisierung. Der Hellenismos ist nicht allein «Religion», schon gar nicht geht es ihm um die «Rekonstruktion» eines undefinierten «antiken Griechenland», das obendrauf noch homogen gedacht und auf dessen missverstandene «Religion» reduziert wird. Seine Motive reichen weiter darüber hinaus.

Auf Facebook präsentierten Aldrige und seine Frau ihren «Tempel» als eine «moderne religiöse Organisation des hellenischen Polytheismus». Die Gründer des «Tempels» und des «NHP» verliehen sich selber die Titel «Priester der griechischen Götter». Welches hellenische Kollektiv oder welche Kultgemeinschaft sie zu Priestern gewählt hat, wurde nicht gesagt. Sie erklärten, dass der «Tempel … nicht rekonstruktionistisch» sei und gaben zu, dass er in die Kategorie «Neopaganismus» falle. Deshalb akzeptiere der «Tempel» «alle Arten des hellenischen Polytheismus, den rekonstruktionistischen inbegriffen, und viele Arten von Neuheiden, die an die Götter glauben». Diese Tatsache war ein «factor in its growth». Im «Tempel» sei die Orthopraxie nicht zwingend und jeder kann die Götter verehren, wie es ihm oder ihr beliebt.[21] Wie das Vokabular ist auch die Einstellung zum Kult «neuheidnisch». Diese sehr eigenwillige Mentalität lässt sich nicht mit der hellenischen Tradition vereinbaren und ist Ausdruck eines Individualismus, der sich nicht dem kollekiven Wohl unterordnen will und sich um keinen patrius ritus schert. Das ist nicht per se falsch, sondern lediglich unhellenisch. Die schlechte Angewohnheit, mit den Traditionen anderer Kulturen «Fußball» zu spielen, ist einer der Gründe, weshalb die hellenische Tradition keine freundlichen Gefühle für das «Neuheidentum» hegt. Das Problem bestand ja nicht darin, dass sie die Götter der Griechen auf ihre eigene Weise verehren und Freude darin finden. Das steht jedem Menschen zu. Das Problem war, dass sie sich als Teil einer anderen Gruppe ausgaben.

Wer in andere Traditionen eindringt, sich dort breitmacht und diese neu zu definieren versucht, ist selber schuld, wenn ihm dann der Wind ins Gesicht bläst. Die Re-Indigenisierung ist kein Rollenspiel. Die Intoleranz des «Neuheidentums» offenbart sein fehlendes Verständnis für die ethnischen Religionen und ihre Bedürfnisse, zeigt aber auch die Distanz zu ihrer Wirklichkeit an. Dies gilt im besonderen Maße für den sogenannten «eklektischen Neopaganismus». Sie verkennen die Gründe und die Bedeutung einer Revitalisierung für die jeweilige Kultur. Die Tatsache, dass gewisse «Neuheiden» der Öffentlichkeit auf Biegen und Brechen weismachen wollen, «hellenische Polytheisten» zu sein und darüber hinaus uneinsichtig auf den «hellenischen» Charakter ihrer Praktiken beharren, obwohl ein solcher offensichtlich nicht vorliegt, akzentuiert das problematische Verhältnis des «Neopaganismus» zu den ethnischen Traditionen. Das wurde von Hellenen, aber auch von Okkultisten beklagt; man sei angeblich rigide und intolerant, nur weil man nicht etwas werden will, das man nicht ist und offenbar auch nicht sein möchte. Die Ursache dieser Spannungen liegt in der «neopaganen» Einstellung zu den ethnischen Religionen – und die kommt nicht von ungefähr, sondern wird in der dominierenden Kultur in den Industriestaaten beinahe mit der Muttermilch aufgesogen.

Die «Neuheiden» kommen in aller Regel über einschlägige Literatur zum «Neuheidentum». Durch die Lektüre solcher Literatur lernen sie den «Paganismus», seine Lebensphilosophie und sein Weltbild kennen. Mit der Zeit entsteht in ihnen ein inneres Bild vom «Paganismus» und sie eignen sich seine Einstellung an, die sie um ihre eigene persönliche Note erweitern. So weit, so gut. Das Problem fängt da an, wo diese Einstellung auch auf andere Bereiche übergreift. Der undifferenzierte und ausgeleierte Begriff «Paganismus» umfasst in unseren Tagen sowohl die traditionellen Religionen und Weltanschauungen als auch neuere religiöse Bewegungen, die sich angeblich an ethnische Religionen orientieren. Dadurch wird der Anschein einer globalen Einheitsreligion geweckt und Weltanschauungen durcheinandergewirbelt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Allein die Tatsache, dass sowohl die ethnischen Religionen als auch die «neopaganen» Bewegungen als «pagan» tituliert werden, suggeriert Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten, die keinen Wirklichkeitstest bestehen könnten. Dies wird spätestens beim Zusammentreffen der beiden Welten deutlich. Stellen wir uns einmal folgendes vor: ein «Neuheide» geht zu irgendeiner indigenen Tradition und gibt sich als ihr Mitglied aus, stellt die Gesamtheit seiner Praktiken und Anschauungen der Öffentlichkeit als Praktiken und Anschauungen dieser Tradition vor, versucht seine Praktiken in die betreffende Tradition einzuführen, sie zu definieren, ihre Inhalte zu bestimmen und in ihrem Namen zu sprechen, so wird er sicher auf massiven Widerstand stoßen und in einen ernsten Konflikt mit den Mitgliedern der dieser Tradition geraten. Denn die meisten ethnischen Traditionen, insbesondere der Hellenismos, tolerieren eine solche Einstellung nicht und sie wehren sich massiv gegen jede Art von religiösem Kolonialismus. Aus der Sicht eines «Neuheiden» mag dies als intolerant oder übertrieben gewertet werden. Aus der Perspektive der jeweiligen Ethnie handelt es sich dabei um Selbstschutz. Die verschiedenen Perspektiven sind das Resultat einer unterschiedlichen Sozialisation, kulturspezifischen Disposition und unterschiedlicher Erfahrungen. Das muss im Kontakt mit dem Anderen immer berücksichtigt werden, denn ansonsten besteht die Gefahr, dass wir uns gegenüber den Bedürfnissen oder Erfahrungen der anderen ignorant verhalten und dadurch in einen unnötigen Konflikt geraten. Selbstverständlich verhalten sich nicht alle «Neuheiden» gleich. Dennoch ist dieses Verhalten geradezu typisch für das angloamerikanische «Neuheidentum». Im Kontrast dazu geht z.B. das deutsche «Neuheidentum» viel sensibler mit Fragen der kulturellen Identität um. 

In den letzten Jahren haben die sozialen Medien den Hellenen viele denkwürdige Erfahrungen mit paganen Kolonialisten, Genozidleugnern und Betrügern beschert. Das hat zur Folge, dass einige Hellenen über ihre Tradition nicht öffentlich sprechen wollen. Sie sind zu der Meinung gekommen, dass wir uns bedeckt halten und nicht allzu viele Informationen mit der Öffentlichkeit teilen sollten, um keine Angriffsflächen zu bieten. Andere Hellenen wollen gar nicht mit außenstehenden Personen über ihre Kultur sprechen, weder öffentlich noch im privaten Gespräch, denn sie machen immer wieder die Erfahrung, von Außenstehenden, in der Regel von «Neuheiden» und Okkultisten «korrigiert» zu werden, die die gelebte Wirklichkeit des Hellenismos mit ihren stereotypen Bildern vom «antiken Griechenland» nicht vereinbaren können. Die Erfahrung mit Antihellenismus aus der «pagan community» hat manche Hellenen in dieser Entscheidung nur bestärkt. Negative Erfahrungen mit Rassisten und Neofaschisten in den sozialen Medien haben zusätzlich zu dieser Haltung beigetragen. Letztere sehen sich durch das Narrativ der «westlichen Zivilisation» berechtigt, Ansprüche auf die griechische und römische Kultur zu erheben. Der Versuch der Inbesitznahme und Instrumentalisierung der griechischen und römischen Kultur durch solche Gruppen ist ein Problem, das hellenische Kollektive mindestens seit 1996 beschäftigt und sicher auch in Zukunft weiter beschäftigen wird, denn solche Vereinnahmungsversuche sind immer häufiger zu beobachten (siehe hierzu Jen Pinkowski: Hate Groups Love Ancient Greece and Rome. Scholars Are Pushing Back, Undark, 27.05.2019). Die Reaktion dieser Hellenen, sich aus öffentlichen Debatten über den Hellenismos herauszuhalten, ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite etwas problematisch, denn wenn nicht wir über den Hellenismos sprechen, werden andere für uns sprechen. Wenn wir dieser Entwicklung nicht jetzt Grenzen setzen, wird sie in Zukunft gefährlichere Formen annehmen. Natürlich bin ich nicht dafür, sensible Informationen aus dem Innenleben der hellenischen Gemeinschaft in der Öffentlichkeit breitzutreten. Darum geht es nicht. Mit unseren Artikeln, Beiträgen und Kommentaren schärfen wir das Profil des Hellenismos und versorgen Hellenisten in aller Welt mit Informationen, die sie für die Ausübung des Kultes oder für ein gutes Verständnis unserer Tradition benötigen, insbesondere wenn sie neu im Hellenismos sind. Außerdem zeigen wir Präsenz, beziehen Stellung, setzen klare Grenzen und verhindern auf diese Weise die Enteignung unserer Tradition. Es gibt meiner Einschätzung nach keinen anderen Weg; wir müssen lernen, Eindringlinge, wie sie ein ethnischer Hellene richtig nannte, konsequent in ihre Schranken zu weisen und ihnen unmissverständlich klarmachen, dass ihnen der Hellenismos nicht wehrlos ausgeliefert und zur Ausbeutung freigegeben ist. Es muss für alle klar sein: hier werden die Normen, Erwartungen und Imperative des «Neuheidentums» oder moderner Ideologien nicht akzeptiert und entschieden zurückgewiesen. Genau diese Botschaft wurde im Streigespräch mit Chris Aldridge ausgesendet. Der Disput mit den Vertretern des «NHP» ist für die Auseinandersetzung mit dem «Neuheidentum» von entscheidender Bedeutung gewesen. Er demonstriert zum einen die Haltung des Hellenismos und zum anderen die Differenz zwischen den revitalisierten ethnischen Religionen und den «neuheidnischen» Bewegungen. Dieser unüberbrückbare Gegensatz zwischen ihnen kommt sicher nicht von ungefähr, sondern liegt im Fundament der ethnischen Religionen begründet: der Bezug auf das anzestrale Ethos.

Nachtrag: Mitte 2016 hat Chris Aldridge über ein öffentliches Netzwerk verlauten lassen, nicht mehr dem «Neopaganismus» anzugehören und zum Hellenismos gefunden zu haben. Mittlerweile scheint sein Tempel den Betrieb wieder aufgenommen zu haben, diesmal in Illinois.

3. Okkultismus und «Neuheidentum»

Dieser Bezug fehlt im «Neuheidentum». Deswegen orientiert er sich nicht an der Tradition, sondern lässt sich von seinen Gefühlen leiten. Zwei seiner wesentlichen Eigenschaften, die zu Reibungen mit der Außenwelt führen, ist seine Selbstinszenierung und der Vorrang des Subjektiven vor dem Objektiven oder der Person vor der Tradition. Diese postmoderne Eigenheit ist nicht nur im «Neuheidentum» zu finden, sondern durchzieht die gesamte westliche Welt. Rainer Funk skizziert diese Selbstinszenierung mit den Worten: «Keiner hat das Recht zu sagen, was gut oder böse, richtig oder falsch, gesund oder krank, echt oder falsch, realitätsgerecht oder illusionär ist. Was zählt, ist allein die selbstbestimmte Inszenierung – dass Du Du selbst bist.»[22] Meiner Ansicht nach ist diese Form der Selbstbestimmung eine intrinsische Eigenschaft des postmodernen Individualismus und seiner Spiritualität.

Die Auseinandersetzung mit dem «NHP» wäre überflüssig gewesen, wenn seine Anhänger sich im Voraus die Mühe gemacht hätten, den Hellenismos und die Bedeutung der Begriffe Tradition oder Ethnismus zu studieren und zu verstehen. Die Differenz zwischen «Neuheidentum» und Hellenismos ist offensichtlich nicht nur religiöser Natur. Der Hellenismos hat eine andere neuere Geschichte, seine eigenen Repräsentanten, Vordenker und eine eigene Mentalität, die von Marginalisierung und Kampf geprägt ist, weshalb sie umso deutlicher hervorgehoben wird. Wenn ich Vordenker sage, meine ich nicht nur Kaiser Julian, Hypatia, Proklos, Damaskios oder Simplikios; ihr Wirken liegt etwas weiter zurück. Ich meine eher Georgios Gemistos Plethon, Michael Marullus, Thomas Taylor, Louis Menard, Dimitris Liantinis und Cornelius Castoriadis, in gewisser Hinsicht auch Percy Bysshe Shelley, James Hogg und Edward Calvert. Das «Neuheidentum» hingegen schaut auf Aleister Crowley, Gerald B. Gardner, Doreen Valiente, Patricia Crowther, Dion Fortune und Scott Cunningham zurück – die alle keine Ethniker waren. Außerdem sind sie alle praktizierende Okkultisten gewesen, während kein einziger Wegbereiter oder Vorreiter des Hellenismos Magie praktizierte, schon gar nicht die abendländische. Auch hierin unterscheidet sich der Hellenismos vom «Neuheidentum». Leider wird dieser Punkt häufig vernachlässigt. Gerade deshalb ist es wichtig, kurz einen Blick darauf zu werfen.

Für die große Mehrheit der «Neuheiden» gehört Magie zu ihrer Spiritualität und religiösen Praxis, zumal sich viele als Hexen verstehen, während die Hellenen, sofern sie überhaupt davon Notiz nehmen oder danach gefragt werden, sie als irrational oder unethisch ablehnen. Nicht nur die Bewertung der Magie ist eine andere, sondern selbst die Vorstellung davon, was Magie überhaupt ist. Jedes Verständnis «der Magie» ist kulturspezifisch. Uns liegt ausreichend ethnographisches Material aus der Antike und aus bis heute intakt gebliebenen indigenen Kulturen vor, um einen Vergleich anstellen zu können. Die daraus abgeleiteten ethnologischen Magietheorien lassen nur die Schlussfolgerung zu, dass die vermeintlichen oder tatsächlich magischen Praktiken und Vorstellungen eines Volkes vor dem Hintergrund seiner kulturellen Innenperspektive zu verstehen sind. Bernd-Christian Otto schreibt hierzu: «Ein Verstehen einzelner historischer Rezeptionen des Magiebegriffs ist … nur ausgehend von den jeweils autorspezifischen, kulturell-diskursiven Rahmenbedingungen möglich. Moderne Lesarten oder gar implizite Vorverständnisse sind bei der Rekonstruktion der historischen Semantik(en) des Begriffs … unbedingt auszublenden» (Magie: Rezeptions- und diskursgeschichtliche Analysen von der Antike bis zur Neuzeit, S. 14, Heidelberg 2009). Magie ist nicht gleich Magie. Die althergebrachten Denkschemata der eigenen Kultur können nicht pauschal auf Fremdkulturen übertragen werden. Schon allein deshalb ist die Bedeutung des vorangegangenen Zitats nicht zu unterschätzen, insbesondere für den Laien. Dass sich beispielsweise das westliche Magieverständnis nicht mit dem griechischen deckt, sollte eigentlich jedermann einleuchten, der sich mit diesen Fragen etwas genauer beschäftigt. Leider ist es so, dass vielen Menschen die Relativität ihrer eigenen Kultur gar nicht bewusst ist. Wir sehen die Welt und gehen davon aus, die anderen würden sie so sehen, wie wir sie sehen. In der Vergangenheit haben sowohl Okkultisten als auch «Neuheiden» aus dem angloamerikanischen Raum prominente Gestalten der griechischen Mythologie und Geschichte als Magier oder Hexen bezeichnet, weil sie in genau denselben christozentrischen Denkschablonen verhaftet bleiben, welche die alten Christen zum Fehlschluss verleitete (wenn es keine Strategie war), Hexerei und Vielgötterei seien ein und dasselbe; eine scheinbar fest im «Neuheidentum» verankerte Vorstellung, die alte Vorurteile perpetuiert. Diesen Fehler haben Laien und frühere Forscher gleichermaßen begangen. Während letztere aber aus den Fehlern ihrer Vorgänger lernen, stützen sich erstere teilweise immer noch auf antiquierte Interpretationen. Nicht nur die Vorstellungen über Magie erscheinen in diesem Zusammenhang als problematisch, der Begriff selbst ist ein Einfallstor für Projektionen: «Da Magie meist relational definiert wurde, also in Relation zum (christozentrischen) Religions- oder (akademischen) Wissenschaftsbegriff, mussten nur einzelne Fallbeispiele – etwa im Kontext ethnologischer Feldforschung – gefunden werden, in denen die Akteure anders handelten, als metasprachlich festgelegt, um die theoretischen Grundannahmen in Frage zu stellen. Parallel dazu […] verzerrte allein die Existenz einer substanziell ausgerichteten Metasprache die Beobachtung, Strukturierung und Erforschung religionswissenschaftlicher Gegenstandsbereiche. Die dadurch bereits begriffsimmanente Voreingenommenheit westlicher Forscher führte in vielen Fällen zur Anpassung realer Beobachtungsdaten an die verwendeten Leittermini und Theoriemodelle, wodurch die eigene Art zu denken reproduziert und veranschaulicht, das wirkliche Verständnis des Fremden jedoch mitunter erschwert, wenn nicht ganz verstellt wurde» (Bernd-Christian Otto, S. 8).

Im Internet drücken besonders die in den USA lebenden Hellenisten oft ihr Unbehagen über den rituellen Gebrauch griechischer Götternamen und Mythen von Seiten des Okkultismus und «Neuheidentums» aus. Die wesentliche Frage, die in diesem Zusammenhang auftaucht, lautet: Wie gehen wir damit um? Dazu wurde in den letzten Jahren viel gesagt. Noch wichtiger scheint mir hier die Beantwortung der Gegenseite: Warum stört ihr euch daran? Viele Hellenisten stören sich deshalb daran, weil durch solche Praktiken die Wirklichkeit der Götter in der historisch erfassbaren Geschichte, Religion und Kunst der Hellenen, die ihre Götter schließlich am besten kannten, in einem Maße verkannt und verzerrt wird, dass diese «griechischen Götter» schlussendlich nur dem Namen nach griechisch sind. Würden beispielsweise die Autoren entsprechender Werke explizit darauf hinweisen, dass ihre Aussagen über das Hellenentum, seine Götter, Mythen, Mysterien etc., bloß die Interpretationen des jeweiligen Autors oder die Vorstellung seiner Glaubensgemeinschaft darstellen, wäre die Aufregung halb so groß. Doch ist dem nicht so. Unter dem Primat der persönlichen Neigungen über die historischen Tatsachen ist das «Neuheidentum» geradezu zu einem Synonym für Rückprojektion und Ignoranz geworden, insbesondere im angelsächsischen Raum. Auf der anderen Seite besteht die reale Gefahr, mit diesen Gruppen verwechselt zu werden, was wiederum zu der Auffassung verleitet, der Hellenismos sei eine «neuheidnische Bewegung». Das schadet hellenischen Interessen. Deshalb wehrt sich das hellenische Volk dagegen, dass seine Götternamen, Mythen und Praktiken missbraucht, kommerzialisiert und letztendlich mit andersartigen Inhalten aufgeladen werden. In dieser Hinsicht halten es die Hellenen wie das stolze Volk der Lakota und vertreten ähnliche Positionen, wie sie in der Kriegserklärung der Lakota vom 10.  Juni 1993 formuliert wurden (siehe: «Die Kriegserklärung der Lakota gegen die Ausbeuter der Lakota-Spiritualität»).

Die griechischen Götter wurden auch außerhalb des Hellenentums richtig erfasst (siehe Friedrich Hölderlins «Hyperions Schicksalslied»), der geistigen Nähe zum Hellenentum wegen, grundsätzlich gilt aber, dass Hellenen nicht-hellenische und unwissenschaftliche Aussagen, Lehren und Deutungen bezüglich ihrer Mythen und Götter für irrelevant halten; sie sind für den Hellenismos bedeutungslos. «Ich habe bereits vor zehn Jahren erklärt, dass ein Nicht-Ethniker, der über die hellenische ethnische Religion spricht und sie entsprechend deutet, genauso wenig ernstgenommen werden kann, wie ein Mohammedaner, der über das Christentum spricht.»[23] Die Darstellung der griechischen Götter, ob im Archäozentrismus, im romäischen Nationalismus, im Okkultismus, in der Esoterik oder im «Neuheidentum», steht in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit, d.h. ihrer Wahrnehmung in der Geschichte. Die Götter werden zu Archetypen, Aspekten eines persönlichen Gottes, Personifikationen, Aspekten des Menschseins, Engeln oder zu bloßen Erfindungen erklärt. Die Deutungen und Aussagen der jeweiligen Gemeinschaften oder ihrer Vertreter variieren je nach Gusto. Allein die Diskrepanz zum Hellenentum bleibt konstant. Aber das betrifft nicht allein die Götter der Griechen. Diese Fremdheit zum europäischen Polytheismus erklärt sich meiner Einsicht nach aus der Kultur des Okkultismus und «Neuheidentums»: dem Abendland. Das Abendland ist das verbindende Glied zwischen all diesen Gemeinschaften, daher färbt es auf ihr Verständnis der ethnischen Götter ab. Das Fundament des Abendlandes ist das Christentum (deshalb auch der Begriff «jüdisch-christliches Abendland», wobei ich persönlich der Meinung bin, dass dieser Begriff vor dem Hintergrund der geistigen Enteignung der Juden durch die frühen Christen und die Jahrhunderte andauernden Judenverfolgung zu meiden ist). Die extrem negative Einstellung des Christentums zu den ethnischen Religionen und ihren Göttern hat deutliche Spuren im Denken der Menschen hinterlassen, was nur natürlich ist, da die andere Perspektive fehlt. Nun hat diese Einstellung in den letzten zweihundert Jahren mancherlei Modifikationen erfahren und dadurch neuen Wertungen Vorschub geleistet, die von einem christlichen Ausgangspunkt vorgenommen worden sind. Allerdings ändert das nichts an der genuin christlichen Auffassung von den ethnischen Göttern, die in den parachristlichen Bewegungen weiter besteht und nur unzureichend kritisch reflektiert wird. So erklärt es sich, weshalb sich der Okkultismus diesbezüglich auf einer ähnlichen Bahn bewegt wie das Christentum, aus dem er hervorgegangen ist. An ein paar Beispielen will ich das verdeutlichen. 

Paulus von Tarsus, der Gründer des Christentums, nannte die ethnischen Götter Götter, die «in Wirklichkeit» keine seien,[24] «Dämonen» und «Götzen».[25] Der Okkultismus übernahm diese «Tradition» und degradierte wie zuvor sein «Vater», das Christentum, die Götter der Ethnien. So bezeichnete etwa die Okkultistin Dion Fortune, immerhin Ordensgründerin der Fraternity of the Inner Light, «Pluto und Hekate» als «böse Götter».[26] Gleichzeitig degradierte sie alle «heidnischen Pantheons» zu «Engel[n] und Erzengel[n]» des «Allvaters», der durch sie «die Welten» erschaffen haben soll.[27] Sie ordnete also Zeus & Co. der Jahve-Religion unter. Nun sind diese Götter, mit Ausnahme der missverstandenen Unterweltgötter Pluton und Hekate, augenscheinig keine sinistren Gestalten mehr, dafür aber weiterhin keine richtigen Götter, sondern bloß Diener und Geschöpfe eines «Allvaters». Dieses Paradigma machte Schule. Der Okkultist W. E. Butler, Gründer der Servants of the Light School of Occult Science, machte aus den ethnischen Gottheiten die «Söhne des Gottes, von dem in der Bibel geschrieben steht, Wesen, die in früheren Manifestationen des Universums perfektioniert wurden und daher mit der Menschheit verwandt sind wie eine Art ältere Brüder. Die Menschheit ist eine andere, weniger perfekte Emanation, die noch einen weiten Weg zu gehen hat, bis sie den gleichen Status erreichen wird […].»[28] Aus hellenischer Sicht ist das Hybris. Eine solche Auffassung bricht mit der hellenischen Pietät, die eine Anerkennung der «Überlegenheit der Götter in Wort und Tat» vorsieht.[29]

Die synkretistische Okkultistin Dolores Ashcroft-Nowicki geht viel weiter und behauptet, dass «der einzige Unterschied» zwischen uns und den Göttern «[…] der ist, daß jene mehr Erfahrung haben, Sie jedoch über einen physischen Körper verfügen; um so schneller werden Sie in der Lage sein, sowohl mit Göttern und Gesetzen des Universums als auch durch sie zu arbeiten.»[30] «Arbeiten», nicht «verehren» oder «ehren». Die «Arbeit mit Göttern» ist ein typisches Idiom des Okkultismus und «Neuheidentums», für okkultistische Weltanschauungen geradezu kennzeichnend. Für Ashcroft-Nowicki kommen alle möglichen mythischen Personen oder Götter als «magische Partner» in Betracht, von Osiris zu Hermes bis zu Jeschua ben Josef.[31] Dieser neue Synkretismus ist typisch für das «Neuheidentum»,[32] wobei man dem populären Credo folgt: «Alle Götter sind ein Gott und alle Göttinnen eine Göttin». Dieses Credo scheint auf den ersten Blick den «neuheidnischen» Synkretismus zu rationalisieren, indem die Götter aller ethnischen Religionen zu Aspekten oder Manifestationen der «einen großen Göttin» und «des einen großen Gottes» umgedeutet werden. In Wirklichkeit wurden die schier unendlichen Facetten dieser zwei Götter mit den Namen, Mythen und Attributen antiker Gottheiten geschmückt,[33] deshalb handelt es sich bei dieser Variante des Okkultismus nicht um die «Verehrung» einer «Vielzahl» von Gottheiten, wie richtig bemerkt wurde, denn: «Sie alle gingen zusammen mit ihren Geschichten, Riten und Mythen in die Vorstellungswelt» des «neuen Heidentums» ein. «Einige Gläubige fühlen sich eben einfach wohler, wenn sie Göttin und Gott solche Namen und Formen geben können, anstatt sie als namenlose göttliche Wesen anzubeten.»[34] Dass diese Götter mit den Göttern der Hellenen nicht identisch sind, versteht sich von selbst. Die Wicca-Priesterin Reed protestierte gegen diese im «Neuheidentum» dominierende Sichtweise,[35] wusste aber, dass sie mit Aussagen wie: «It is important to know the various deities as they are», mehr oder weniger am Rande der Community stand.[36]

Tatsache ist, dass es weder im Okkultismus noch im «Neuheidentum» ein einheitliches Bild von den ethnischen Göttern gibt. Mal werden sie als «vollkommene Menschen» dargestellt, dann werden sie an anderer Stelle als Wesen definiert, die im Grunde aus den «Ängste[n], Freuden, Hoffnungen und Probleme[n]» der Menschen entstanden sein sollen – und das in einem und demselben Buch.[37] Nur in einer Sache scheint sich Nowicki über die Götter sicher gewesen zu sein. «Sie brauchen Menschen wie Sie und mich, um atmen zu können.»[38] Dieser Satz bezeugt eigentlich ihre fehlenden Kenntnisse der Materie, denn die Götter brauchen nichts (Sallustios, Über die Götter und den Kosmos, XV). Genau das zeichnet eine Gottheit im Hellenismos aus. Während einem im modernen Okkultismus Ahnungslosigkeit, Ignoranz, sogar ein gewisses Maß an Unbehagen gegenüber dem Polytheismus ins Auge sticht, schlägt einem bei Eliphas Levi, dem Vordenker des modernen Okkultismus, christliche Arroganz und Geringschätzung sondergleichen entgegen. Sätze wie: «Das Heidentum hatte seine falsche Mystik, und darum hat sich das philosophische Dogma der alten Hellenen in Abgötterei verwandelt», sind für seine Weltanschauung charakteristisch.[39] Er bediente altgediente Unwahrheiten, um seinen eigenen Glauben auf- und die hellenische Religion abzuwerten.[40] Es überrascht daher nicht, dass auch der moderne Okkultismus wenig von den ethnischen Göttern hält, wahrscheinlich versteht er sie genauso wenig wie Levi die ethnischen Religionen verstand. Der gleichen Leichtfertigkeit begegnen wir bei der Interpretation der Mythen.

Wie im Westen und in der Romiosini üblich, werden im Okkultismus und «Neuheidentum» die Mythen der Griechen mit der eigentlichen Religion verwechselt. Genau besehen können wir das den beiden Bewegungen nicht zum Vorwurf machen, denn sie haben nur die Auffassung übernommen und verbreitet, die in der abendländischen Kultur seit Jahrhunderten vorherrscht und als allgemeingültig anerkannt wird. Doch die Mythologie war nur ein Element der Religion, machte diese aber nicht aus. «In Rom wie in Griechenland hatte die Mythologie eine zweifache Funktion. Sie bestand aus Geschichten, die den Hörer oder Leser erfreuen sollten, die die Ammen den Kindern erzählten und die den Malern und Bildhauern Themen an die Hand geben. Und sie war zugleich Teil der Religion.»[41] Verglichen mit der Gesamtbevölkerung der Industriestaaten wissen nur wenig Menschen darüber Bescheid. Die große Mehrheit der Menschen verwechselt heute noch den Mythos mit dem Kultus, auch die Kirchen unterscheiden nicht zwischen den Göttern und ihren Mythen. Das Ergebnis ist ein mythologischer Analphabetismus, der in Äußerungen wie der folgenden seinen Ausdruck findet: «Nur wenige der alten Götter waren reife, ausgeglichene Persönlichkeiten.»[42] Parachristliche Bewegungen wie der Okkultismus oder der Archäozentrismus in Griechenland multiplizieren auf diese Weise alte Vorurteile und betreiben damit Gegenaufklärung zu Lasten der ethnischen Religionen.

Nicht nur von den Gottheiten wird ein desolates Bild gezeichnet, auch die Mythen werden ins «neopagane» Korsett gezwungen und für alle möglichen Theorien eingespannt, in der Hoffnung, diese glaubwürdig oder altehrwürdig erscheinen zu lassen. In dieser Hinsicht hat sich das «Neuheidentum» für den europäischen Polytheismus als Prokrustesbett erwiesen. Im «neuen Paganismus» werden Mythen, Mysterien und Götter des Hellenentums und anderer Kulturen willkürlich durcheinander geworfen und auf eine Weise interpretiert, welche zumindest auf Hellenen befremdlich wirken muss. Mythen, Götternamen, Symbole werden mit modernen Ideologien überlagert, zu Kronzeugen für alle möglichen Weltbilder aufgebauscht und Begriffe teilweise falsch übersetzt. Insbesondere in Griechenland hat sich eine Paraphilologie oder Pseudophilologie etabliert, die mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen hat. Es scheint, als gäbe es keine Fraktion, die nicht auf griechische Mythen rekurriert: ob christliche Kreise, Faschisten, Antisemiten, Archäozentristen, Esoteriker, Ariosophen, UFO-Theoretiker, Okkultisten und «Neopaganisten», sie alle mischen kräftig mit, gehen mit Taschenlampe und Archäologenhut auf Entdeckungsreise, und nie graben sie etwas anderes aus, als die wahre oder angeblich geheime Bedeutung der Mythen, die optimalerweise die jeweilige Ideologie des Autors bestätigt. Das Plünderfeld der Mythologie ist auf der einen Seite die Kommerzialisierung des Heiligen und auf der anderen die humanitäre Ausbeutung, Entweihung, Verspottung der Mythen und Traditionen zum Zwecke der «spirituellen Selbsterkenntnis». Folgen dieses Missbrauchs sind Verfälschung, Enteignung und die «systematische Vernichtung» (Kriegserklärung der Lakota) der betreffenden Tradition. Der religiöse Arm des Kulturimperialismus macht vor nichts Halt. Kapitalistische Normen und Produktionsweisen sind der Esoterik längst in Blut und Knochen übergegangen und durchbluten als eine Art Verhaltensweise die atomistische Gesellschaft und ihre religiösen Bewegungen.

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Jede dieser Gruppen interpretiert die Mythen entsprechend ihrer Ideologie, Vorurteile und Weltbilder. Das gilt auch für die «Hexenbewegung». Diese nimmt die Mythen durch die besonderen Filter des Öko-Feminismus und der Frauenspiritualität wahr und legt sie dementsprechend aus; sie macht einen eindeutig ideologischen Gebrauch der Mythen und projiziert eigene Vorstellungen auf die mentale Landschaft der hellenischen Ethnie. Ihre Auslegungen lassen in der Regel keine Nähe zum Hellenentum erkennen, vielmehr bilden sie, wenn man es genau betrachtet, den Angriff eines verklärten Matriarchats auf ein verachtetes Patriarchat.[43] (Und damit einen neuen Dualismus.) Nun soll aber im Rahmen der «modernen Wiederbelebung der Hexenkunst [!] … die Rückkehr zum echten Glauben an die alten Götter Europas» ihren Lauf nehmen.[44] «Europäische Götter» wohlgemerkt, die in einen «psychischen Dämmerzustand gesunken» seien, weil sie über viele Jahre hinweg nicht angebetet wurden. Götter mit «kleine[n] Mängel[n] und Fehler[n]», die nur darauf warten, von den «heutigen Hexen» geweckt zu werden, z.B. durch Zaubersprüche oder die «Annahme einer Gottform», einer magischen Praxis, die die Inbesitznahme des Magiers oder der Hexe durch die angerufene Gottheit bewirken soll, deren «Persönlichkeit» dann für kurze Zeit vom Magier übernommen wird, um anschließend ein Verhalten an den Tag zu legen, welches im Nachhinein nicht «auf die Priesterin oder den Priester zurückgeführt werden kann, die bzw. der die Gottheit beherbergt hat. Diese Person ist nicht für das Verhalten der Gottheit verantwortlich.»[45] «Zwischen Göttern und Menschen ist eine scharfe Grenze gezogen; es ist hybris, Übermut, sie überschreiten zu wollen» (Nilsson).[46] Das zu den angeblichen Überschneidungen zwischen Hellenismos und dieser Abzweigung des Okkultismus. Kein Spagat dieser Welt kann diese Kluft überbrücken, trotzdem werden europäischer Polytheismus und Okkultismus undifferenziert in einen Topf geworfen. Schon das allein ist unseriös. Alle Völker, welche aus dem Schatten der Unterwerfung und des Kolonialismus treten, zu sich selbst zurückfinden, werden von einer unsichtbaren Hand automatisch dem «neopaganen» Einerlei zugeführt, d.h. einem Produkt eben jener Kultur, von der sie sich befreien wollen. Die Meinung der betreffenden Ethnien dazu ist irrelevant. Das Abendland entscheidet. Dabei wissen sogar die «Neuheiden» und «Hexen», dass die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Seiten diejenige ist, dass sie «keinen monotheistischen, männlichen Gott» verehren.[47] Das versteht sich für den Hellenismos von selbst, weil seine Götter geschlechtslos sind.

Ein weiterer Unterschied zwischen Hellenismos und «Neopaganismus» ist der Stellenwert der jüdischen Kabbala für letzteren. Im Okkultismus, der ohne sie gar nicht denkbar wäre, hat sie sowieso einen zentralen Stellenwert, was einmal mehr seine abendländische Abstammung unterstreicht.[48] Der Einfluss der Kabbala auf den Okkultismus ist immens. Sie durchdringt die Weltanschauung, Symbolik und Ritualistik verschiedenster Orden weltweit und nimmt in der okkultistischen Literatur eine herausragende Stellung ein. Und was für den Okkultismus gilt, besitzt in mancher Hinsicht auch für seine Nebenerscheinungen Gültigkeit. Es überrascht also nicht, wenn der Kabbala auch im «modernen Heidentum» eine große Bedeutung zugemessen wird. Für Vivianne Crowley ist die Kabbala eine «universale Sprache», die im Grund von allen Menschen gesprochen werden könne. «Gleich ob man Heide, Christ, Jude, Moslem oder Anhänger eines anderen Glaubens ist, das der eigenen Sichtweise entsprechende Konzept vom Göttlichen und von der Natur des Universums kann immer in kabbalistischen Begriffen erklärt werden.»[49] Interessant ist zudem, dass Crowley ihr «Heidentum» an einer anderen Stelle mit dem Prädikat «anti-intellektuell» versieht.[50] Im Hellenismos spielt die Kabbala natürlich keine Rolle, weder die traditionelle noch die hermetische, schließlich handelt es sich bei ihr um die Geheimlehre des Judentums. Insgesamt geht Crowley, aber nicht nur sie, sehr freizügig mit den Bezeichnungen «Heidentum» und «Paganismus» um. Insofern müssen wir wiederholt betonen: die Ethnien sind keine «Paganisten» gewesen, weder alte noch neue. Zwar wurden beispielsweise die Hellenen von ihren Feinden als «Götzendiener», «Teufelsanbeter» und sehr viel später als «Paganisten» beschimpft, doch nichtsdestotrotz sind sie die ganze Zeit über nur Hellenen gewesen, sprich Angehörige einer Ethnie und Kultur. Der «Paganismus» gehörte zu keiner Zeit zum Selbstverständnis der Hellenen. Viele prominente Vertreter des «neuen Heidentums» sind sich dessen vollkommen bewusst.[51] Aus diesen und anderen Gründen kann der «Paganismus» den Hellenen nie als Selbstbezeichnung dienen, viele meiden sogar das Adjektiv «pagan», zumal es mittlerweile alles und nichts bedeutet. Ausnahmen aus öffentlichkeitswirksamen Gründen bestätigen nur die Regel und werden in summa nicht unbedingt mit offenen Armen begrüßt, weil sowohl der Begriff selbst als auch dessen pejorative Verwendung und die damit einhergehenden Implikationen von immer mehr ethnischen Hellenen und Hellenisten als unangebracht, unwürdig oder widerlich erachtet werden. Ganz anders im «Neuheidentum». Tatsächlich kann der Hellenismos nur in dem Sinn «pagan» sein, wie Pierre Chuvin den Paganismus definiert: nämlich als die «Religion der Heimat im engsten Sinne des Wortes» (A Chronicle of the Last Pagans, S. 9, Cambridge, MA /London: Harvard University Press, 1990). Es gibt keinen Grund für den Gebrauch dieses Begriffes, zumal es einen viel besseren gibt, nämlich den der «ethnischen Religion».

Aber es ist nicht allein die Bewertung des Begriffes »Paganismus«, die den Hellenismos vom «Neopaganismus» unterscheidet. Der «Neopaganismus» selbst wird von den Hellenen anders wahrgenommen. Ein beträchtlicher Teil der «Neuheiden» erblickt im «Neuheidentum» keinen Ableger des Okkultismus, sondern sieht sich vielmehr in die Fußstapfen der «alten Heiden» treten, deshalb apostrophieren sie den «Neopaganismus» als «den Alten Weg». Bereits im Okkultismus des 19. Jahrhunderts stand der Rekurs auf antike Mysterien und Kulte hoch im Kurs. Okkulte Orden und esoterische Geheimgesellschaften verfolgten ihre Anfänge auf die griechischen Mysterienkulte und die ägyptische Priesterschaft zurück. Dieserart gelang es ihnen einerseits, sich den Mantel des Erhabenen überzustreifen und andererseits, aus dem Okkultismus «die westliche Mysterientradition» zu machen. So war ihnen das Interesse der Menge für eine ganze Weile gewiss. In ähnlicher Weise verfuhr der «Neopaganismus» mit seiner eigenen Herkunft. Er übernahm teilweise die albernen Erzählungen der alten Christen über die Priester und Priesterinnen im antiken Ägypten, Griechenland und Rom und vermischte sie mit dem verklärten Bild, das sich die Romantik von der Antike machte. Um eine Verbindung zwischen sich und der Antike herzustellen, sprich das «Neuheidentum» in die Geschichte des «Heidentums» einzureihen, wurden die alten Hellenen in die Sphäre des Okkultismus gerückt und ihre Anschauungen den Anschauungen der Okkultisten angeglichen, indem zum Beispiel gesagt wird, dass die Platoniker der Spätantike den Versuch unternommen hätten, «das Konzept von Göttern und Göttinnen als separate Wesenheiten zu überwinden und zu einem einheitlichen Gottesbild zu gelangen, doch fanden sie dieses nicht in einer höchsten Personifikation, Isis, der Großen Mutter, sondern in einer abstrakten Idee des Göttlichen, das weder männlich noch weiblich war und als ‹das Eine bezeichnet wurde.»[52] Das «Eine» gab es aber schon lange vor Plotinos und ist keineswegs ein Konzept, welches der Überwindung des Polytheismus dienen sollte, der sowieso falsch definiert wird, weil es ihm nicht um die Zahl der Götter, sondern um ihr Verhältnis zum Universum geht. Das implizierte Dilemma «das Eine (to hen) oder die Vielen (henades)» existiert nicht. Im Hellenentum gibt es kein «Entweder-oder», sondern ein «Sowohl-als-auch-Denken».[53] Plotinos war ein Polytheist,[54] genauso wie Aristoteles oder Xenophanes.[55] Die vielen Götter sind aus dem Einen (to hen) hervorgegangen. Dieser Prozess wird in der Literatur häufig als «Emanation» bezeichnet, jedoch bedeutet das griechische Wort próhodos (πρόοδος), das gewöhnlich mit Emanation wiedergegeben wird, eigentlich Hervorgang (Dictionary of spiritual terms, Stichwort: Proodos). In diesem Zusammenhang erscheinen die Götter als Henáden: «Henaden (henades): Einheiten, zu selbständigen Wesen hypostasiert, so bei PLATO (S. Ideen), PKOKLUS, der so die aus der Ureinheit emanierenden geistigen Kräfte nennt. Den Neupythagoreern gilt die henas als Princip der Dinge. Vgl. Einheit.»[56] An einer anderen Stelle, die für die hier behandelte Materie von Bedeutung ist, behauptet Vivianne Crowley außerdem, dass der Ritualismus der antiken Religionen «zum Formalismus», zu einer «Sache genau festgelegter Riten und Vorschriften» erstarrte.[57] Das ist falsch. Die antike Pietät bestand schon seit alters her aus der Einhaltung der Orthopraxie, den «väterlichen Sitten». Man kann die hellenische «Frömmigkeit Ritualismus nennen».[58] Im Ritualismus drückt sich die kulturelle Typizität und ein Stück weit auch die Erinnerungskultur einer Ethnie aus. «Der Eifer, mit dem man die rituellen Vorschriften peinlich genau einhielt, beweist, wie John Scheid schreibt, daß der Ritualismus verinnerlicht war und im spirituellen Leben eine genauso große Rolle spielte wie für einen Christen die Betrachtung eines Heilsmysteriums.»[59] In dieser Hinsicht geben sich der Oberste Rat der ethnischen Hellenen (YSEE) und die Labrys-Gemeinschaft größte Mühe, die väterlichen Riten einzuhalten, ohne jedoch eine undefinierte Vergangenheit mechanisch reproduzieren zu wollen, zumal der Hellenismos eine lebendige Tradition (paradosis) ist. Auch Evangelos Voulgarakis, der vieles, aber kein Freund der ethnischen Hellenen ist, muss zugeben: «YSEE is doing its best».[60] Das ist in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Mittel nicht immer einfach, aber dennoch notwendig, denn: Ohne Orthopraxie kein Hellenismos. Da liegt es auf der Hand, dass «auf das alte Wort ‹nach der Sitte der Väter» großer Wert gelegt wird.[61] Insgesamt scheint sich das «Neuheidentum» seiner Grenzen oder der Grenzen seiner abendlandzentristischen Sichtweise nicht bewusst zu sein. Viele «Neuheiden» ziehen bei ihrer Beurteilung der ethnischen Religionen immer wieder falsche Schlüsse, weil sie sie durch die Filter ihrer eigenen Kultur sehen, wie wir ja alle die Welt durch die Filter unserer eigenen Kultur wahrnehmen. Ihr Denken ist nicht hellenisch, ihnen fehlt das Verständnis für die hellenische Tradition, deshalb bleibt ihnen die anzestrale Psyche verschlossen.

Der Hauptunterschied zwischen beiden Gruppen ist in ihrer Herkunft, Selbstwahrnehmung und Identität zu suchen, welche im Falle des Hellenismos eben auch seine Orthopraxie umfasst. Die Hellenen sind keine Anhänger einer Glaubensgemeinschaft, sondern Mitglieder einer Kultur und Ethnie mit eigenem Wertesystem und einer eigenen Religion. Diese wurde in der Spätantike vom Christentum verboten und ausgemerzt. Der nun christliche Staat unterdrückte die ethnischen Religionen und die Mysterienkulte, kriminalisierte und verfolgte alle, die weiterhin an ihrer Kultur, den Sitten ihrer Vorfahren festhielten und den Göttern opferten. Die traditionellen Kulte wurden im Jahr 393 von Kaiser Theodosius I. verboten.[62] Es folgten weitere Verbote, Verfolgungen, Zwangstaufen, Hinrichtungen, Massaker. Das Christentum setzte sich durch und mit ihm setzte sich seine Vorstellung von den ethnischen Religionen durch. Diese Vorstellung ist tief im Bewusstsein jener Menschen verankert, die in einer christlichen Kultur aufgewachsen sind. Das alles prägt nicht nur die Beziehung der Hellenen zum orthodoxen Christentum, sondern auch unsere Haltung zu den christlichen Gesellschaften, mögen einige davon auch säkularisiert sein. Der Grund für unsere Vorsicht ist der, dass das Christentum seinen Abdruck im Denken der Menschen hinterlassen hat. Vor diesem Einfluss sind nicht einmal die Wissenschaftler gefeit, zumal die Wissenschaft ebenfalls christlich imprägniert ist oder zumindest aus einem bestimmten Blickwinkel betrieben wird. Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird von Menschen mit Leben erfüllt, die eine Biografie, einen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und politischen Hintergrund haben. Das gilt auch für Wikipedia, d.h. für diejenigen, die dort Einträge erstellen oder bearbeiten. Das will natürlich nicht heißen, dass alle Wissenschaftler die Welt auf der Grundlage ihres jeweiligen Vorverständnisses interpretieren, das wäre albern, aber viele Wissenschaftler vermitteln uns den Eindruck, die Relativität und Grenzen ihrer eigenen kulturell bedingten Perspektive oder Wahrnehmung nicht zu kennen. Zahlreiche Wissenschaftler, die über den antiken oder heutigen Hellenismos schreiben, stammen aus christlichen Gesellschaften und sind christlich erzogen worden. Diese Faktoren beeinflussen die Bewertung oder Deutung des antiken Griechenland oder die Schlussfolgerungen über den heutigen Hellenismos, besonders dann, wenn die Wissenschaftler, seien es Althistoriker oder Soziologen, sich der Bedingtheit ihres eigenen Blickwinkels nicht bewusst sind und sich nicht auf das ihnen Fremde einlassen können. Am Ende einer solchen Forschung wartet nicht das Verstehen, sondern die Reproduktion der eigenen Sichtweise und die Bestätigung von Vorannahmen durch eine begriffliche Einhegung der erforschten Materie, die den Ansprüchen einer kritischen, aber auch selbstkritischen und ergebnisoffenen Forschung nicht genügen kann. Dennoch können solche Forschungen dazu beitragen, das Bild von der erforschten Religion, Tradition oder Gruppe zu zementieren. Selbstverständlich gibt es ebenso viele Wissenschaftler, die selbstkritisch arbeiten, ihre Methodik sorgfältig überprüfen und die einen interdisziplinären Ansatz verfolgen. In den letzten zwanzig Jahren wurden bedeutende Werke über die hellenische Kultur und Religion veröffentlicht. Es besteht ein gesteigertes akademisches Interesse an der hellenischen Religion. Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist insgesamt reifer, selbstkritischer geworden. Es wurden aber auch Arbeiten publiziert, die überholte Stereotype reproduzieren und deren Aussagen auf angreifbaren Interpretationen beruhen. Nichtsdestotrotz können diese Arbeiten das öffentliche Bild vom Hellenismos prägen. Gleiches gilt auch für Online-Artikel aus scheinbar oder tatsächlich neutralen Quellen. Deshalb sehen die Hellenen es nicht gern, wenn irgendwelche Behauptungen aufgestellt und aus irrigen Annahmen bequeme Schlussfolgerungen abgeleitet werden, die möglicherweise Konsequenzen für den Hellenismos haben könnten. Das ist der Grund, weshalb die Kritik der ethnischen Hellenen manchmal so harsch ausfällt. Wir möchten nicht als Teil einer Bewegung behandelt werden, die nicht zu uns gehört. Der «Neopaganismus» gehört nun mal nicht zur hellenischen Kultur. Der Hellenismos ist nicht nur Religion; er bietet eine andere Lebensweise, ein anderes Wertesystem und damit defacto einen anderen Menschentyp an. Das macht ihn zu einer Alternative zum Monotheismus und besonders zum Christentum.

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In der Heimat des Hellenismos führt dieses Angebot einer Alternative zu Spannungen mit der Amtskirche, weil beide die hellenische Identität für sich in Anspruch nehmen, wobei die Hellenen darunter etwas völlig anderes verstehen. Der Konflikt – der Journalist Minas Papageorgiou sprach von einem Krieg – zwischen Christentum und Hellenismos in Neugriechenland ist im Grunde nichts weiter als die Weiterführung und Aufwärmung des bereits in der Spätantike und im Mittelalter ausgetragenen Kampfes der beiden Weltanschauungen und Menschentypen unter anderen Bedingungen. Davon zeugt insbesondere das bestehende «Klima» zwischen beiden Seiten, das aus gegenseitiger Ablehnung, Geringschätzung, teilweise auch aus Verachtung besteht. Dialoge finden eher selten statt, Wortgefechte dafür umso häufiger. Da der Hellenismos wie alle anderen indigenen Traditionen eine Alternative zum Abend- und Morgenland darstellt, den Monotheismus auf den weltanschaulichen, wirtschaftlichen und politischen Ebenen des Weltgeschehens abgelöst sehen möchte, konnte sich der Konflikt nur verschärfen. Dieser ist auf einer tieferen, mehrdimensionalen Ebene gelagert, die hier nicht das Thema ist. Aber aus dieser Haltung folgt die vollständige und kompromisslose Ablehnung des Christentums und die anvisierte Entchristianisierung (Katharsis) der Persönlichkeit des ethnischen Hellenen, die Raum für eine neue Identität schafft. Das ist das Kreuz auf unseren Rücken und die «Mautgebühren», die wir auf dem Weg in die ungetaufte Freiheit entrichten müssen. Im «Neopaganismus» wird zwar Kritik artikuliert und eine Distanz zum Christentum gewahrt, aber keine Überwindung des Monotheismus beabsichtigt, zumindest lässt sich ein solches Motiv nicht ausmachen; das «Neuheidentum» kann im Gegensatz zum Hellenismos keine vor- und unchristliche Alternative anbieten, weil es selbst zum Abendland gehört, seinen Stempel trägt und in seinen Konzepten badet. Das ist keine negative Bewertung meinerseits, sondern eine Feststellung. Diese Aspekte wurden im wissenschaftlichen Diskurs bislang nur minimal berücksichtigt, die kulturelle Komponente überhaupt wenig beachtet. Die bisherige Blickrichtung scheint festgefahren, einseitig auf das Religiöse ausgerichtet. Ob das der Grund ist, weshalb der Hellenismos von manchen als eine religiöse Bewegung wahrgenommen wird, bleibt unklar. Jedenfalls ist die kulturelle Alterität und Innenperspektive bisher kaum ins Gewicht gefallen, obwohl sie von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des Hellenismos und seiner Haltung zum Christentum ist, die sich von der Haltung des «Neopaganismus» zum Christentum unterscheidet.

Ich möchte das an einem konkreten Beispiel veranschaulichen: In der magischen Praxis des «Neopaganismus» ist die Übernahme von Hymnen und Gebeten aus anderen Religionen und Kulturen und ihr Einbau in das «neopagane» Magiesystem eine übliche Vorgehensweise. Das betrifft nicht nur Hymnen ethnischer Religionen, sondern auch christliche Gebete. So wurde der christliche Psalm 23 («Hirtenpsalm») beispielsweise von der Wicca-Priesterin Silver Ravenwolf übernommen, etwas umformuliert und anschließend in ein magisches Ritual integriert.[63] Für Hellenen käme so etwas nie in Frage, weder die Magie noch der Rückgriff auf christliche Gebete. Ein solcher Akt wäre vor dem Hintergrund der Hellenenverfolgungen und dem heutigen Umgang damit grotesk. Denn die Vergangenheit ist nicht tot, sondern mit der Gegenwart verbunden; die Tradition verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Gegenwart mit der Zukunft, die Vorfahren mit den Nachfahren, das Land mit seinen Menschen. Aus dieser Verbindung entspringt unsere Identität und aus ihr schöpfen wir Leben. Das Christentum wird aufgrund seines Antihellenismus, seiner Geschichte und Selbstdarstellung, vor allem aber wegen der Verunglimpfung seiner Opfer als «Götzendiener» von sehr vielen Hellenen entschieden abgelehnt. Aus diesem und anderen Gründen ist die Übernahme christlicher Gebete im Hellenismos undenkbar. Der vom Establishment ignorierte oder verschwiegene Ethnozid an den Hellenen ist eine Wunde, die schmerzt. Viele haben erst im späten Alter davon erfahren. Sie mussten sich eingestehen, dass alles, was ihnen in der Schule beigebracht wurde, eine Lüge ist. Der Umgang der Kirche mit dem Thema hat die Haltung der Hellenen zum Christentum und Byzanz nachhaltig geprägt, vor allem weil hinter den kaiserlichen Edikten die gleiche Kirche stand, die heute noch gegen die ethnischen Hellenen wettert, ihren Ethnozid leugnet und mit der Einbettung der Hellenen in ihr diffuses verschwörungstheoretisches Panorama den Hass in den triebgesteuerten Seelen der Nationalisten und Fundamentalisten schürt: Die Buchhandlung des Epikureers Marios Verettas[64] wurde von unbekannten Tätern abgefackelt, ein Paar, das in seiner kleinen Buchhandlung Bücher über die hellenische Religion anbot, zusammengeschlagen,[65] der antike Altar des Dionysos in Athen,[66] Altäre des YSEE und der Labrys-Gemeinschaft in Athen und auf Rhodos demoliert. Auf einer Außenmauer von Verettas’ Buchhandlung wurde in großen Buchstaben das griechische Wort εξαγνισμόςSäuberung», «Reinigung») gesprayt. Diese Verbrechen haben zu einer tiefen Abneigung und verhärteten Fronten zwischen Hellenen und vielen Rhomäern geführt (den griechischsprachigen orthodoxen Christen[67]), die die hellenische Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche als einen Affront gegen ihre Identität interpretieren. Nicht nur die Religiosität und Kulturzugehörigkeit unterscheidet also den Hellenismos vom «Neopaganismus», sondern auch seine ethnische Identität und seine Haltung zum Christentum und seinen Kulturen. Diese Unterschiede können nicht ignoriert werden, ohne dass es zu Verzerrungen kommt. Natürlich muss bei einem Vergleich zwischen Hellenismos und «Neopaganismus» das Religiöse im Vordergrund stehen, denn der «Neopaganismus» ist eine religiöse Bewegung. Doch die oben genannten Punkte müssen ebenfalls Beachtung finden, sonst können sich die Beobachter kein vollständiges Bild vom Hellenismos machen. Das gesagt, können wir einen genaueren Blick auf die Religion und die entsprechenden Unterschiede zwischen den beiden Systemen werfen, wobei die Religion nicht von der Kultur getrennt werden kann, denn die bestehenden Differenzen im Bereich der Ontologie und Theologie («Götterlehre») ergeben sich aus einer kulturell bedingten anderen Wahrnehmung.

Das «Neuheidentum» kennt keine einheitliche Theologie. Vielmehr gibt es verschiedene Gottesbilder, die nebeneinander existieren. Jedoch lassen sich Konzepte ausmachen, die das religiöse Denken dieser Bewegung dominieren und die auf eine breite Zustimmung stoßen. So wird das Göttliche häufig aus zwei Polen bestehend verstanden, einem männlichen und einem weiblichen Pol, als Göttin und Gott. Dieses Konzept wird Duotheismus genannt. Für manche «Neuheiden» sind Göttin und Gott transzendente Wesen, für andere immanente Energien, die in der Welt und im Menschen wirken. Die Götter der ethnischen Religionen, die im «Neuheidentum» recht häufig vorkommen, werden hauptsächlich als Aspekte dieser zwei Götter betrachtet oder aber als psychologische Konzepte, Symbole für psychische Phänomene oder als bloße Metaphern. Die Götter des Hellenismos werden also als Aspekte der einen Göttin und des einen Gottes gesehen, doch die Vorstellung vom Göttlichen unterscheidet sich deutlich vom hellenischen Götterverständnis. Während «Göttin und Gott» im «Neuheidentum» «allmächtig» sind, «Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Existenzen» (Cunningham), sind die griechischen Götter nicht allmächtig.[68][69] Sie haben das Universum nicht erschaffen, denn das Universum ist keine Schöpfung, sondern lediglich den Kosmos zu einem Ganzen reguliert und geordnet, weshalb sie auch θεοί (theoi, Götter), also «Ordner» heißen.[70][71][72][73] Durch den steigenden, ungefilterten orientalischen Einfluss, den spätantiken Mystizismus und Synkretismus, die dem Christentum «Tür und Tor» öffneten und somit dem Hellenentum, bildlich gesprochen, das Genick brachen,[74] veränderte sich im Laufe der Zeit das Bild von den Göttern, gewiss, doch nach wie vor galten sie weder als allmächtig noch als die Schöpfer des Universums. Interessant ist an Cunninghams theologischem Grundmuster die deutliche Divergenz zwischen den griechischen und den «neuheidnischen» Göttern bezüglich ihrer Macht und Möglichkeiten. Ganz offensichtlich sind die Götter der Griechen keine Aspekte seiner eignen, obschon ihre Namen, Mythen und Symbole den Aspekten der «Göttin und des Gottes» beigemengt wurden. In einem anderen Buch behauptet der gleiche Autor, dass die antiken Götter personifizierte Naturkräfte gewesen seien,[75] wodurch sie aber keine «allmächtigen Schöpfergötter» mehr sein können, die seine Götter nach eigener Aussage aber sein sollen. Abgesehen davon scheint an diesem Punkt wieder einmal das Unverständnis für die griechischen Götter durch, das sich wie ein roter Faden durch das gesamte «Neuheidentum» und den Okkultismus zieht. Diese sind eben keine Personifikationen,[76] sondern unpersönliche Mächte (Δυνάμεις, Dynámeis), vollkommene Wesen (τέλεια Όντα).[77][78][79][80] Allerdings hat dieses Götterverständnis keinen leichten Stand im «Neuheidentum», ist diesem eher fremd und wird darüber hinaus von Vorstellungen überlagert, die der «neuheidnische» Synkretismus mit sich bringt. Letzterer ist nicht logisch durchdacht und wird meiner Einsicht nach von vielen «Neuheiden», die dem vorhin skizzierten duotheistischen Credo treu geblieben sind, selber nicht ernst genommen. Dafür sprechen zumindest die vielen Ungereimtheiten. Im Gegensatz dazu war der antike Synkretismus «keine wahllose Mischung, sondern kristallisierte sich um gewisse grundlegende Ideen» der damaligen polytheistischen Zeit.[81] Erst später, als orientalische Einflüsse nicht mehr hellenisiert wurden, wirkte er sich schädlich auf die hellenische Religion aus. Wie dem auch sei, wer den Hellenismos zu studieren beginnt und anschließend mit dem «Neuheidentum» (welcher Art auch immer) vergleicht, wird schnell feststellen: hellenische Tradition und «Neopaganismus» schließen sich aus, weil sie auf verschiedenen Voraussetzungen beruhen.

Timothy Jay Alexander, Autor und bekanntester Hellenist der USA, hat sich lange mit der New-Age-Bewegung und dem «Neuheidentum» auseinandergesetzt und ist schließlich zu dem Schluss gekommen, dass der «Okkultismus und die New Age-Bewegung» die unehelichen Kinder des Christentums sind. Die «westliche Esoterik» basiere, so Alexander, «teilweise auf den christlichen Erzählungen» über die antiken Religionen, z.B. dass die «Priester und Philosophen Magier und Zauberer» gewesen seien, die mittels Zauberei die kosmische Ordnung zu manipulieren versucht hätten. Der Okkultismus beruhe auf der falschen Geschichtsschreibung des Christentums und auf seinen «abergläubischen Interpretationen der natürlichen Religionen». Auch wenn viele «Neuheiden» «der christlichen Lehre den Rücken gekehrt haben, halten sie weiterhin an der christlichen Weltanschauung fest» und interpretieren die natürlichen Religionen auf der Grundlage des christlichen Aberglaubens. Er betont, dass der «Neopaganismus» nicht nur vom Hellenismos kritisiert wird, sondern auch von Hindus, Buddhisten, Taoisten und den Mitgliedern anderer Traditionen. Schlussendlich erkennt Alexander im «Neopaganismus» eine Gefahr für die ethnischen Traditionen, weil dieser sie in einen Universalismus zwingt und von ihrem kulturellen Kontext entkleidet in the form of the globalization of religion into a universalism, where practices and traditions must be stripped of their cultural perspective»). Seiner Meinung nach verzerrt und verdreht der «Neopaganismus» die traditionellen Praktiken andrer Religionen, damit sie zu seiner Weltanschauung passen. In den «neopaganen und New-Age-Bewegungen» sieht er das «Spiegelbild des Versuchs des Christentums», die indigenen Religionen auszurotten.[82] Seine Meinung zum «Neopaganismus», von vielen Hellenen geteilt, liest sich wie eine klare Absage am «neuen Heidentum». Jedenfalls kann sie nicht als Bekenntnis zu diesem ausgelegt werden, weil sich Alexander klar außerhalb davon befindet. Ist Alexander trotzdem ein «Neuheide» oder «Paganist»? Wenn es nach Wikipedia ginge, ja. Er selbst weiß aber, dass er Hellenist ist – und das ist das Einzige, was zählt.

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Niemand hat das Recht über uns zu entscheiden, von außen festzulegen oder in unserem Namen zu sprechen. Auch Wikipedia nicht. Wir bestimmen über unsere kollektive Zugehörigkeit, definieren uns selbst über und durch unsere Tradition. Die kolonialistische Attitüde,  welche die «griechische Antike» zur Wiege der «westlichen Zivilisation», in einigen Kreisen gar zum allgemeinen Erbe der «weißen Rasse», die lebendige hellenische Tradition zu einer «neuheidnischen Bewegung» erklärt, lehnen wir entschieden ab. Deshalb wird jede ideologische Belehrung oder Vereinnahmung durch politische oder religiöse Gruppierungen auf unseren Widerstand stoßen. Mehrere nationalistische und rassistische Gruppierungen durften bereits die Erfahrung machen, dass die Aneignung oder der Missbrauch audiovisueller Inhalte, die z.B. dem YSEE gehören, äußerst unangenehme Reaktionen nach sich zieht. Diese Erklärung fast gewisse «Hellenen» oder Kreise, die zwischen der hellenischen Kultur und einer bestimmten neuzeitlichen Ideologie nicht unterscheiden wollen, ebenfalls ins Auge. Die Bezeichnung «Hellenen» habe ich an dieser Stelle bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil ich mich auf die Archäozentristen oder Hellenozentristen, wie sie sich selbst nennen, beziehe, zumindest auf diejenigen unter ihnen, die dem Anschein nach mehr zum Hellenismos als zum Christentum tendieren, wobei der Geist, der aus ihren Texten spricht, eher Richtung völkischem «Neuheidentum» und Ariosophie geht.

Das sind zum einen Personen, die zwischen der romäischen und hellenischen Kultur festsitzen und zum anderen Gruppen wie die «Church of Hellenes», die unter der Anonymität des Internets (und so manches Mal auch unter falscher Flagge) wirken und äußerst bedenkliche, teils zivilisationsfeindliche Positionen vertreten, die sich gut unter der Überschrift Kitsch und Schund zusammenfassen lassen. Es sind Positionen, die jenseits der nativistischen Bewegung der Hellenen liegen, aber trotzdem oft den ethnischen Hellenen angelastet werden, weil die Urheber dieser Positionen sich zur hellenischen Kultur bekennen, sich als ihr zugehörig inszenzieren, was natürlich nichts zu bedeuten hat, da sich ganz Griechenland zur hellenischen Kultur bekennt, zumindest auf dem Papier. Dem unbedarften Auge muss es allerdings so vorkommen, als würden diese Gruppen tatsächlich zum Hellenismos gehören, denn ihm entgeht, dass sie einen «Sprachstil» und ein Selbstverständnis pflegen, das ganz untypisch ist für den Hellenismos und in keiner Beziehung zu den großen hellenischen Verbänden Griechenlands steht (YSEE, Labrys). Die «Church of Hellenes» ist wohl das bekannteste Beispiel für eine solche Gruppierung, auch wenn sie für die Gesamtheit der archäozentrischen Gruppierungen sicher nicht repräsentativ ist, da sie mit ihrem vermeintlichen Rekurs auf die griechische Antike und ihrem antichristlichen Profil eine Ausnahmeerscheinung im archäozentrischen Spektrum darstellt. Sie selbst versteht sich als ein Werkzeug «spiritueller Kriegsführung» und sieht sich im Kampf gegen alle «antihellenischen Sekten», will «den Feind nicht kritisieren, aber erschlagen», «antihellensiche Überzeugungen» ausrotten. «Die erste Frage, die wir stellen, lautet: Glaubst du an die Götter? Die Antwort wird das Schicksal des Angeklagten besiegeln. Das ist der Kern des militanten Hellenentums.» Die Taliban im hellenischen Gewand erklären weiterhin: «der hellenische Krieger muss bereit sein zu sterben und alles auszurotten», was der «weltweiten Dominanz des Hellenentums» im Wege stehe. Es sind die Götter selbst, behauptet die «Church of Hellenes», die den «Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen führen».[83] Das alles steht natürlich im krassen Kontrast zu der Behauptung: «wir bringen Liebe, Frieden und Weisheit», und widerspricht nicht nur der griechischen Mentalität und allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die uns zu den alten Griechen vorliegen, sondern auch der hellenischen Weltanschauung, denn die Götter führen keine Kriege gegen «Ungläubige»: das ist eine «christlich-islamische Sache».[84] Offenbar haben die Mitglieder dieser Gruppe nie ein wissenschaftliches Buch über die hellenische Religion gelesen. Das muss wohl am mangelnden Interesse an der hellenischen Tradition liegen. Einen Mangel an entsprechender Literatur gibt es jedenfalls nicht: Walter Friedrich Otto wurde bereits 1991, Carl Kerenyi 1992, Walter Burkert 1993 und Paul Veyne 1993 ins Griechische übersetzt. 1997 folgte Martin P. Nilsson, 2004 Louise Bruit Zaidman/Pauline Schmitt Pantel. Folglich kann es keine Ausrede für diese aggressive Unwissenheit geben. Zu dieser Unwissenheit passt jedenfalls, dass es auf ihrer Internetseite unter der Kategorie Rituale nur 7 Artikel gibt, unter Religion etwa 25 Artikel, die tatsächlich die Religion zum Thema haben, während es in den Kategorien Politik und Aktuelles weit über 150 Artikel zum Christentum und zu politischen Themen gibt. Unter der äußerst bezeichnenden Kategorie «Dogmatische Prinzipien» («Δογματικές Αρχές») finden wir einen Artikel mit dem äußerst interessanten Titel «Ewige göttliche Dogmen», in dem es unter anderem heißt: «Die Götter haben durch die Hierophanten die schreckliche Folter der Zweifel, der Anzweiflung der göttlichen Erkenntnis abgeschafft. Die Götter übergaben den Menschen ihre ewigen Dogmen. Es gibt keine Vergebung für Unwissenheit und für die Anzweiflung der ewigen göttlichen Dogmen.» Das erinnert an Moses und seine zehn Gebote. Wie jeder belesene Mensch weiß, hat dieses christliche «Neuheidentum» wenig mit der hellenischen Kultur, aber dafür umso mehr mit einer verzerrten Wahrnehmung der Antike gemein, die ihrerseits auf einer unentschuldbaren Ignoranz beruht, welche äußerst verstörende Blüten trägt. Zudem ist es ziemlich interessant, wenn nicht erhellend, dass diese Gruppe sich eine «Kirche» (Church) nennt. Freud lässt grüßen. Das hat insofern seine Richtigkeit, als ihre Sprache, ihr ganzer Habitus mehr den orthodoxen Fanatikern ähnelt als einem Sokrates oder Epikur. Es ist daher nur verständlich, dass hellenische Kollektive einen Bogen um besagte «Kirche» machen, die ein tristes Schattendasein in den Weiten des Internets führt. So hat sich beispielsweise der Oberste Rat der ethnischen Hellenen (YSEE) öffentlich von der «Church of Hellenes» distanziert (Pressemitteilung Nr. 137, 20.02.2003). Die Pressemitteilung war unter anderem eine Reaktion auf den Versuch kirchlicher Kreise, den YSEE mit der «Church of Hellenes» in Verbindung zu bringen. Nichtsdestotrotz wird auf der englischen Wikipedia die «Church of Hellenes» in einem Atemzug mit dem YSEE erwähnt und darüber hinaus dem Hellenismos zugeordnet («Modern groups and demographics»). Das hat sich bisher nicht einmal die griechischsprachige Ausgabe der Wikipedia getraut.

Im griechischsprachigen Internet gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen, in denen die Grenzen zwischen Ideologie, Religion und Verschwörungstheorien aufgeweicht oder bereits aufgehoben sind. Zu diesen Kreisen gehören parakirchliche Netzwerke und christliche Provokateure, die bewusst Propaganda gegen den Hellenismos betreiben. Sie selbst sprechen nicht von Propaganda oder Täuschung, sondern umschreiben ihre Tätigkeit mit den Worten «Verteidigung gegen die Angriffe der Paganisten». Eine dieser Gruppen, vielleicht die wichtigste von allen, nämlich die «Orientierung durch Orthodoxe Dogmatische Erläuterungen» (OODE, eigentlich «Orthodoxe Gruppe Dogmatischer Studien»), war im Jahr 2008 durch eigenes Verschulden aufgeflogen. Ziel dieser Gruppe, die immer noch aktiv ist, war die Stiftung von Verwirrung und Unruhe in den sozialen Medien. Ihre Mitglieder organisierten sich über das Internet, besprachen ihre Pläne und nächsten Schritte in einem eigenen, geheimen Forum, wo auch Beiträge über die Arbeitsverteilung und Strategie der Gruppe publiziert wurden. Sie schleusten sich in Online-Foren ein, um ihre Propaganda zu verbreiten. Dabei gingen sie sogar soweit, einen Schichtplan zu erstellen, bei dem mal der eine, mal der andere sich mit dem gleichen Account in das jeweilige Forum einloggen sollte, um dort eine Diskussion im Sinne ihrer Agenda anzuregen oder um eine bestehende Diskussion mittels einer Vielzahl von Beiträgen in eine bestimmte Richtung zu lenken.[85] Sie versuchten es sogar im Forum des YSEE, sind irgendwann aber auf- und wieder rausgeflogen. Ein Mitglied der Gruppe meldete sich gleich zwei Mal im YSEE-Forum an, nämlich unter den Namen «xenofon» und «hermes». Als er seinen Mitstreitern von seiner Leistung berichtete und angab, die Mitglieder des Forums verwirrt zu haben, wurde er von Thomas F. Dritsas gewarnt, dass seine IP-Nummer von den Betreibern eingesehen werden könnte. Zwar könnten diese ihm nichts anhaben, aber sie würden erzählen, dass die Christen Provokateure einsetzen, «was nicht gut wäre».[86] Nachdem sie schließlich aufgeflogen waren, monierte die OODE die «Invasion in die GESCHLOSSENE und PRIVATE» Online-Gruppe, beklagte die «geheime Beobachtung ihrer Aktivitäten», sprach von einer Verfälschung der ursprünglichen Gruppenbeiträge, inszenierte sich sogar als Opfer, das unter dem Eindruck der vielen Angriffe sich gezwungen sah, eine solche Gruppe ins Leben zu rufen. Kein Wort der Entschuldigung, kein Zeichen der Reue. Doch alle Ausreden nützten nichts und die Gruppe hatte ihren Ruf weg. Die Hellenen hatten freilich seit geraumer Zeit erkannt, dass Provokateure gegen den Hellenismos arbeiteten, aber es fehlten die Beweise. Bereits davor hatte es (dilettantisch ausgeführte) Aktionen unter falscher Flagge gegeben, die allerdings schnell durchschaut und deshalb ohne großen Erfolg blieben. Aber das hatte keineswegs zur Folge, dass die Propaganda gegen den Hellenismos eingestellt worden wäre. Noch heute können wir beobachten, vielleicht mehr denn je, wie sie manchmal verdeckt, manchmal unverhohlen im Internet gegen die hellenische Tradition agitieren. Hinter solchen Aktionen stehen nicht nur christliche Fanatiker oder Apologeten, wie sie sich nennen, sondern auch Anhänger des Archäozentrismus und autonome Nationalisten, die Kontakt zu den Ethnikern suchen, sich diesen gegenüber zunächst als Hellenenfreunde oder Bewunderer der hellenischen Kultur ausgeben, um dann, nachdem ihre durchsichtigen Versuche abgewehrt wurden, die bekannten Vorwürfe aus der Mottenkiste der Orthodoxie gegen hellenische Kollektive zu erheben.[87] Unter diesen Personen befinden sich auch Sympathisanten und Mitglieder der offen nationalsozialistischen Partei Chrysi Avgi (dt. Goldene Morgenröte), die in letzter Zeit ihre gut dokumentierte Bewunderung für Adolf Hitler und Benito Mussolini abstreitet, nie faschistisch gewesen sein will, aber dafür weiterhin hellenische Symbole wie den Lorbeerkranz und das Gammadion missbraucht und die Antike ideologisch instrumentalisiert, obwohl sie Ziele verfolgt, für die wir, die wir nach der Abschaffung der Theokratie in Griechenland streben, nie einstehen würden, weil wir Hellenen sind. Einige dieser Ziele der Partei sind die «Wiederherstellung des Ansehens der Kirche» und die «Aktualisierung der Bildung und Ausbildung der Kleriker auf der Grundlage hellenisch-orthodoxer Prinzipien und Ideale».[88]

Es gab und gibt viele Versuche, den Hellenismos zu diskreditieren. Deshalb ist Vorsicht geboten. Die Quellenangaben der Artikel müssen sorgfältig überprüft werden, insbesondere wenn bestimmte Aussagen als Tatsachen offeriert werden oder die Artikel von Menschen geschrieben wurden, die dem Hellenismos fern stehen oder nicht neutral gesinnt sind. Das gilt für Wikipedia wie für viele andere Webseiten, die entweder mangels besseren Wissens oder absichtlich den Hellenismos in ein falsches Licht stellen. Auf der einen Seite ist es gut, dass gewisse Kreise oder Einzelpersonen ihre «Erkenntnisse» und Überzeugungen mit der Welt teilen, weil sie sich auf diese Weise selber demaskieren, auf der anderen Seite sorgen wir uns, ob nicht allzu viele Menschen dadurch manipuliert werden und sich ein falsches Bild von der hellenischen Tradition machen. Das ist insofern problematisch, weil ein durch Manipulation erzeugtes Klima eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Rehellenisierung erschwert und der Rehabilitierung des Hellenismos zusätzlich Steine in den Weg legt. Wenn wir aber in dieser Welt überleben, unsere kollektive Würde und Rechte wahren wollen, müssen wir die Akzeptanz und Achtung der Weltgemeinschaft gewinnen, ohne deren Unterstützung wir geschwächt und isoliert dastehen würden. Das alles sollte zumindest zur Hinterfragung oder Reflexion anhalten, wenn schon keine Bereitschaft zur Korrektur gegeben ist, wie im Falle von Wikipedia. Für den Kenner der griechischen Religion und Philosophie steht jedenfalls fest, was der YSEE schon vor Jahren in aller Deutlichkeit erklärt hat: der «Neopaganismus geht uns nichts an.»[89] Wie mittlerweile klar geworden sein dürfte, ist der Hellenismos keine «religiöse Bewegung», kein «Glaube an Götter», keine Ideologie und schon gar kein Rädchen in einer fremden Mühle. Er war, ist und bleibt die Kultur und Identität der hellenischen Ethnie.

4. Kirche, Esoterik und neugriechische «New-Age-Bewegung»

In der heutigen Zeit, wo der Monotheismus von der Aufklärung und dem Freiheitsbewusstsein der Moderne weichgespült und ihm infolgedessen ein Großteil seiner politischen Macht in der westlichen Hemisphäre genommen wurde, hat sich unsere soziale Stellung, der soziale Stand aller Menschen, die keine Christen sind, deutlich verbessert. In vielen Ländern wurde die Trennung von Kirche und Staat eingeführt, das Rechtssystem und öffentliche Schulwesen weitgehend säkularisiert, Antidiskriminierungsgesetze erlassen und damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. Dementsprechend bildeten sich seit den 1960er und in Griechenland seit dem Fall der Militärjunta (1967-1974) neue Freiräume für alle, die bis dahin den Rand der Gesellschaft bevölkerten: Atheisten, Agnostiker, Buddhisten, Ethniker und andere Gruppen. Dadurch erlangte eine große Zahl an Menschen in einer Reihe von Staaten neue Sichtbarkeit und Sicherheit sowie den Mut, ihre Rechte geltend zu machen. Ende der 1980er Jahre sahen die Hellenen ihre Zeit gekommen und traten an das Licht der Öffentlichkeit, und das in einem Land, das die Trennung von Kirche und Staat noch nicht vollzogen, der Staat nicht säkularisiert und die Kirche äußerst einflussreich ist. Die Theokratie in Griechenland ist noch nicht überwunden. Dementsprechend sahen auch die ersten Reaktionen auf die Rehellenisierungsbewegung aus. Trotzdem hat die noch junge Bewegung sich nicht unterkriegen lassen und ihre Ziele gegen alle Widerstände weiter verfolgt. Seither wurden mehrere Bücher und Artikel publiziert, Dokumentationen gedreht, Interviews gegeben, Vorträge gehalten und viele offene Feste organisiert. Nach knapp 30 Jahren war es dann soweit: 2017 wurde der Hellenismos unter dem Namen «Hellenische ethnische Religion» vom Staat anerkannt, wobei diese Entscheidung vor allem dem YSEE zugutekommt, der die Bezeichnung «Hellenische ethnische Religion» geprägt hat.

Von der neuen Freiheit in den westlichen Gesellschaften haben auch die Okkultisten und Esoteriker profitiert. Heutzutage werden Buchläden mit Werken über Okkultismus und Esoterik geradezu überschwemmt. Zum Leidwesen des Hellenismos und anderer ethnischer Religionen setzt sich das Werk des Christentums, seine Interpretation der ethnischen Religionen in vielen dieser Bücher fort. Okkultismus und «Neuheidentum» wickeln die ethnischen Götter in widersprüchliche, teilweise marketingorientierte Konzepte ein, mystifizieren die Mysterienkulte, überladen die Mythen mit immer neuen, vermeintlich wahren, geheimen, nur Eingeweihten bekannten Bedeutungen und erschweren auf diese Weise das Verständnis der europäischen ethnischen Religionen. Auch die Esoterik hat die Götter der Griechen für sich entdeckt und zwingt sie in ihr theosophisches Korsett. Das Ergebnis ist ein unglaublicher Wirrwarr. Dass das in Neugriechenland passiert, der Hochburg der Orthodoxie, wundert einen nicht, aber die Beispiele aus Deutschland, Großbritannien oder den USA überraschen dann doch, zumal in diesen Ländern viel über die griechische Religion geforscht und publiziert wurde. In Neugriechenland werden die Götter von Nationalisten und Archäozentristen als außerirdische «Vorfahren» der heutigen Griechen oder als «Engel des einen Gottes» (den sie El oder Elochim nennen) dem Christengott untergestellt, gerade weil sie verhindern wollen, dass sie ihm gegenübergestellt werden oder weil sie die für ihre Identität wichtige Vorstellung rationalisieren und damit retten wollen, dass hellenische Kultur und christliche Religion eine Einheit darstellen, denn diese Vorstellung ist das Fundament der neugriechischen Nationsbildung (nation building) und macht daher den harten Kern der neugriechischen Nationalideologie aus. Da aber diese Deutung der Götter auf tönernen Füßen steht, ist sie nicht geeignet, die Widersprüche und Risse der neugriechischen oder besser gesagt neoromäischen Identität zu kitten, zumal die Unterschiedlichkeit und Unvereinbarkeit von Hellenentum und Christentum mittlerweile auch von Skeptikern, Atheisten und Agnostikern lautstark ausgesprochen, thematisiert, die Ideologie des «Hellenochristentums» in den sozialen Medien mit Hohn und Spott überzogen wird. Es hat sich eine neue Dynamik entwickelt, die sich nicht mehr auf die auflagenschwachen Zeitschriften beschränken lässt. Das ist einer der Gründe, weshalb Nationalisten und Fundamentalisten sich zunehmend genötigt sehen, zu retten, was noch zu retten ist. Doch statt einen ehrlichen Diskurs zu wagen und die Aussöhnung mit der Vergangenheit zu suchen, jetzt, wo das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, flüchten sie sich in Ufo- und Rassentheorien, Irrationalismus und Verschwörungstheorien, in die Mystifizierung von gestern und heute, wodurch bestehende Problemfelder nicht etwa angesprochen und gelöst, sondern transformiert und in neue Formen gegossen werden. Dieses Phänomen ist vor allem im «Archäozentrismus» (oder «Hellenozentrismus») stark verbreitet und deshalb gut zu beobachten. Der Archäozentrismus kann in gewisser Hinsicht als das romäische Pendant zur New-Age-Bewegung betrachtet werden; es handelt sich hierbei um einen Mix aus Orthodoxie, griechischer Mythologie, Pseudowissenschaft, Verschwörungstheorien, Rassismus, Esoterik und Ariosophie, für den der Glauben an eine genetische Überlegenheit der «griechischen Rasse» gegenüber allen anderen Völkern, der übrigens auch in anderen Schichten der Gesellschaft verbreitet ist, charakteristisch ist. Der Archäozentrismus ist keine Bewegung im eigentlichen Sinn, sondern eine heterogene Szene, die durch ein messianisches und paranoides Weltbild zusammengehalten wird, das vom Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Christen und Erfinder der «Epsilon-Theorie» Ioannis Fourakis (1937-2010) entscheidend mitgeprägt wurde, wobei manche Beobachter im verstorbenen Autor Georgios Lefkofrydis den eigentlichen Erfinder der «Epsilon» sehen. Die sogenannte Epsilon-Theorie, von vielen Epsilonismus genannt, war in ihren Anfängen eine durchschaubare Angelegenheit, verselbstständigte sich aber mit der Zeit und erhielt eine eigentümliche Dynamik. (Wobei «Theorie» zu hoch gegriffen ist, schließlich steht das ganze Konstrukt in der Luft, besteht nur aus Behauptungen und zweifelhaften Interpretationen.) Für die meisten Kenner der Szene gehört die «Epsilon-Theorie» entweder zum Bereich der Verschwörungstheorien oder der Pseudowissenschaften. Für andere wiederum ist sie reine Geldmacherei. Diverse Autoren behandelten die Themen des Archäozentrismus unter einem nationalistischen Blickwinkel, vermischten die Glorifizierung der Antike mit pseudowissenschaftlichen Elementen, völkischer Ideologie und konservativen Themen. Ihre Bücher brachten sie über Telemarketing-Sendungen an den Mann. Die «Epsilon-Theorie» ist neben einem nationalistisch aufgeladenen Euhemerismus, der manchmal einen kirchenkritischen oder antichristlichen Ton anschlägt, das Erkennungszeichen des Archäozentrismus.

Die ursprüngliche, von Fourakis entwickelte «Epsilon-Theorie» kreiste um die Idee einer geheimen, einflussreichen griechischen Gruppe «Epsilon»Omada Epsilon» oder «Omada E»), die angeblich im Geheimen an der Wiederbelebung der griechischen Kultur arbeite und Griechenland vor Gefahren schütze.[90] Diese Theorie wurde später von anderen Autoren rezipiert und neu interpretiert, die ebenfalls der archäozentrischen Szene zugerechnet werden, so zum Beispiel von Anestis Keramydas (1949-2009), gemäß dem die «Omada E» ins sechste vorchristliche Jahrhundert zurückreicht. Aber die «Epsilon-Theorie» wurde nicht nur von anderen Autoren und Bloggern neu interpretiert, sondern von Fourakis selbst mit immer neuen Elementen ausgeschmückt. Im Laufe dieser Entwicklung blieb der messianische, rassistische, antisemitische und radikal irrationale Kern der «Theorie» jedoch unverändert erhalten. Die «Theorie» änderte sich von Autor zu Autor nur dahingehend, dass die «Epsilon» keine Gruppe von Menschen mehr darstellte, sondern die Götter der alten Griechen selbst, die als «Engel» oder «Außerirdische» einen Krieg gegen Juden, Zionisten und Freimaurer führen, die vielbeschworenen Feinde Griechenlands.[91] Andere Autoren wiederum identifizieren die griechischen Götter mit gefallenen Engeln, von denen es in der Bibel heißt, dass sie sich «mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten» (1. Mose, 6,4). Das hängt ganz von den Präferenzen und Neigungen des jeweiligen Autors ab. Die «Epsilon-Theorie» knüpft offenkundig an pupuläre orthodoxe und nationalistische Vorurteile und Verschwörungstheorien an, die in Griechenland sehr weit verbreitet sind und durch antisemitische Parolen kirchlicherseits forciert werden.[92] Neu war, dass Fourakis zu seinen «antihellenischen Kreisen» auch die «buddhistische Bon-Sekte» zählte, wie er die indigene Religion Tibets nannte, und die Buddhisten zusammen mit den Zionisten, Mormonen, Freimaurern in sein Verschwörungsuniversum aufnahm.[93] Für Fourakis war der verstorbene Erzbischof Griechenlands Christodoulos (1939-2008) derjenige, der auf politischer Ebene Hellenentum und Christentum miteinander vermählte.[94] Eine seiner anderen «Theorien» besagte, dass die Hellenen ursprünglich aus einem anderen Sternensystem stammen.[95] Diese Behauptung wurde später von den Euhemeristen unter den Archäozentristen aufgenommen, die ihrerseits behaupten, die Griechen seien die «Nachfahren der altgriechischen Götter». Manchen orthodoxen Apologeten wurde Fourakis mit der Zeit wohl eine Spur zu peinlich, zumindest sahen sie die Notwendigkeit gekommen, die Bremse zu ziehen und sich von Fourakis zu distanzieren: In ihren Artikeln und Aufsätzen prägten sie den Begriff der «Archäolatrie»Antikenkult») neu, formten daraus eine imaginäre parareligiöse Szene, auf die er dann zusammen mit anderen christlichen Autoren seines Schlags abgeworfen wurde.[96] Auch der Hellenismos wurde von diesen Kreisen der «Archäolatrie», die mittlerweile synonym zu Archäozentrismus verstanden wird, zugeordnet.

Fourakis verbreitete die bei Nationalisten und Fundamentalisten heute so beliebte wie falsche Vorstellung, dass der Kampf der ethnischen Hellenen gegen die orthodoxe Kirche von den oben genannten «Kreisen», den Juden, Freimaurern, Zionisten erwirkt wird. Ziel sei, so Fourakis, die «Spaltung der Nation», die einen Konflikt zwischen «Hellenentum und Orthodoxie» provozieren soll.[97] In Wahrheit kämpfen die Ethniker in Griechenland gar nicht gegen den orthodoxen Glauben, dieser ist schließlich Privatangelegenheit, sondern gegen die «repräsentative Theokratie».[98] Fourakis war offenbar unfähig, zwischen den ethnischen Hellenen und seinen imaginären Verschwörerfiguren zu unterscheiden, wie auch seine Kirche unheilbar unfähig scheint, der Differenz zwischen ethnischen Hellenen und «Archäozentristen» Rechnung zu tragen. Aber das kommt nicht von ungefähr. Totalitäre Systeme haben kein Interesse an Differenzierung und benötigen ein Feindbild, um die Massen hinter sich zu versammeln. Wenn einer zwischen Glauben und Theokratie nicht unterscheiden kann, dann sagt das mehr über den Zustand seiner Kirche aus, als über die Haltung anderer ihr gegenüber. Ein weit größeres Problem war Fourakis‘ Rassismus, der, obschon mystisch verklärt, von einem banalen Antisemitismus durchdrungen ist. Fourakis beschäftigten zeit seines Autorenlebens die Juden und ihr Verhältnis zu den Griechen. Er hatte ein schlichtes Weltbild und für komplexe Zusammenhänge wenig übrig. So sind für Fourakis die Juden schlecht, die Griechen gut und der Rest planetarisches Beiwerk. Gemäß seiner Pseudo-Exobiologie sollen die Hellenen aus der Andromedagalaxie stammen, die Juden aus den Tiefen der Erde. In Interviews stilisierte er letztere immer wieder zum absoluten Gegner der Griechen.[99] Fourakis war an einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Judentum nicht interessiert, vielmehr war er von Hass getrieben und projizierte die psychische Realität seines kulturellen Umfelds auf die Juden. Sein Antisemitismus steigerte sich schließlich zur Manie. In seinem Kampf gegen die Juden missbrauchte er sogar den Mythos um Apollon und die Schlange Python, die er in seinem Buch «Die (Vor)Zeichen von Delphi und der zionistische Python» (Athen 1989) mit dem Zionismus in Verbindung brachte. (Für viele griechischsprachige Nationalisten und Fundamentalisten ist der Zionismus der Inbegriff des Bösen.) Vlassis G. Rassias hat in seinem Buch «Über die väterlichen Götter» (Athen 1992) diesen Mythos wieder ins rechte Licht gerückt und den Python rehabilitiert, indem er klarstellte: «Python ist der legitime Erbe des delphischen Orakles von Themis gewesen» und kein Symbol des Bösen, der Mythos selbst nicht Ausdruck einer dualistischen Welterfahrung (S. 158-159). Doch dieser Einwand ging an Fourakis vorbei. Er hat sowohl den Buchtitel als auch die entsprechenden Passagen im Buch beibehalten, schließlich blieb seine Meinung von den Juden ebenfalls unverändert: «Sie sind keine Ethnie, sondern waren und sind eine politisch-religiöse Räuberbande».[100] In seinem Kampf für Gegenaufklärung und gegen die Juden waren ihm anscheinend alle Mittel recht.

Abgesehen von seiner Hetze und Verharmlosung des monotheistischen Terrors, reproduzierte er gezielt nationalistische und christliche Propaganda. Er behauptete, die Hellenen hätten vor allen anderen zum «einen Gott» gefunden, seien die eigentlichen Begründer der monotheistischen Religion gewesen. Zudem ist interessant, dass die Indoeuropäische Theorie bei ihm auf Ablehnung stieß, so wie bei allen anderen Autoren seines Schlages. Die Einwände waren freilich nicht dialektischer Natur, sondern entsprachen dem in diesen Kreisen verbreiteten Gedankengut. Die «Indo-Europäische Rasse» ist, so Fourakis, eine «antihellenische und jüdisch-zionistische Erfindung».[101] Allgemein ist in diesen Kreisen eine starke Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen zu beobachten, insbesondere dann, wenn sie das eigene Weltbild aus den Angeln heben. Den «Systemuniversitäten» und «Systemwissenschaftlern» sei schließlich nicht zu trauen, obwohl sie die Geräte erfunden haben, mit denen die Archäozentristen ihre Weisheiten ins Internet ergießen. Deshalb wendet man sich lieber den «rebellischen Wissenschaftlern» zu, vor allem dann, wenn diese den Nationalstolz schüren, der aber in solchen Fragen keine Rolle spielen sollte, zumal er kein wissenschaftliches Kriterium ist. Alles, was dem Nationalstolz schmeichelt, ist wahr, unantasbar, bereits bewiesen, darum halten sie daran fest, während die wissenschaftliche Forschung weiter geht und folglich zu neuen Erkenntnissen gelangt; diese werden nicht selten abgewertet, ins Lächerliche gezogen, selbstverständlich nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Überlegungen, dafür fehlt ihnen die Qualifikation, sondern aus ideologischen Gründen, die in der Kneipe sicher auf große Zustimmung stoßen, aber gewiss nicht auf wissenschaftlichen Kongressen. Die Ideologie hat im Archäozentrismus die Wirklichkeit weitgehend ersetzt; diese sorgt zwar hier und da für Empörung, wenn sie gelegentlich ihren Weg in seine wunderbare Welt findet und ideologisch bedingte Verzerrungen glattbügelt, doch wird sie nicht zum Gegenstand des Denkens. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, dass im Archäozentrismus und romäischen Nationalismus ein Hass auf die Wirklichkeit, das wirklich Gegebene, herrscht. Während andere im Internet freudig die Nachricht über neue Entdeckungen und Funde teilen, die z.B. neues Licht auf die Entwicklung des Homo erectus werfen, fühlen sich viele Archäozentristen aufgefordert, die Menschheit z.B. im Kommentarfeld auf Facebook mit der «verschwiegenen Wahrheit», der «Wahrheit, die sie uns nicht erzählen», zu beglücken, sie zu belehren, was echt und was falsch, welche «Mächte» hinter solchen Nachrichten stecken, welches Ziel sie damit verfolgen: die «Glorie Griechenlands», der «griechischen Rasse» zu mindern. Schließlich geht es immer um Griechenland, folglich ständig um sie. Es sind die Ideen eines paranoiden Narzissmus, welcher das Bedürfnis generiert, wichtig und besonders zu sein, nicht etwa durch eigene Leistungen auf dem Gebiet der Astrophysik oder des Sozialstaates, sondern durch Geburt, durch die Angehörigkeit zu einer Gruppe, die etwas Besonderes darstellt, besser ist, also ist man auch etwas Besonderes, besser als die anderen. Dieser kompensierte Minderwertigkeitskomplex ist die Mutter vieler Verschwörungstheorien in Griechenland. Wäre die Wirklichkeit ein Mensch, hätte der Archäozentrismus sie längst erschossen.

Aber Fourakis ging viel weiter als die meisten Archäozentristen: er versuchte sich nämlich als Prophet eines neuen Zeitalters. Nachdem er hier und da den Weltuntergang beschworen, verkündete der Prophet, dass die zu «Außerirdischen» verkrüppelten griechischen Götter bald auf der Erde landen und eine goldene Ära des Menschengeschlechts einleiten würden, trotz zahlreicher Versuche der «anderen» Seite, dies zu verhindern.[102] Das neue Zeitalter stünde kurz bevor. Dann würde alles besser werden. Es versteht sich von selbst, dass seine Prophezeiungen nie eingetreten sind. Seine Anhänger, die sich als kritisch denkende Menschen verstehen, blieben seiner «Bewegung» auch nach seinem Tod im Jahr 2010 treu, obwohl er in seinem letzten öffentlichen Vortrag im September desselben Jahres vor laufender Kamera sich selbst einen Betrüger nannte, ohne ein Wort der Entschuldigung nachzureichen für all die unglaublichen Geschichten, die er den Leuten aufgetischt hatte. Kaum outete er sich, setzte er wieder neue absurde Geschichten in die Welt. Außerdem behauptete er, dass die Gründer aller «hellenozentrischen Organisationen», und zu diesen zählte er sogar den YSEE, Freimaurer seien, ein Gerücht, welches lange Zeit vor diesem Auftritt von Nationalisten und Fundamentalisten verbreitet wurde, um die Rehellenisierung zu diskreditieren. «Wir alle, die wir uns in den letzten Jahren als [geistige] Führer und Hellenenverehrer aufspielen, sind gemeine Betrüger», er selbst sei davon «nicht ausgenommen». Andere wiederum seien «Agenten». Später wiederholte er: «Wir sind alle Betrüger». Allerdings sagte Fourakis auch, dass ihm vor Jahren ein großer Geldbetrag überreicht wurde, wohl wegen geleisteter Dienste. 100.000,00 sollen es gewesen sein, doch nannte er weder die Person, die ihm das Geld gab, noch in welcher Währung gezahlt wurde. Jedenfalls sei ihm versichert worden, dass ihm dieser Betrag zustand, es seien schließlich seine «10 Prozent» gewesen.[103] Ob diese Geschichte stimmt, lässt sich, wie so viele seiner anderen Geschichten, nicht nachweisen. Von seinen letzten Worten kaltgelassen, verkündeten die Epsilon-Anhänger die Einreise der außerirdischen «Götter» für Ende Dezember 2012. Nach der Silvesternacht von 2012 ließ die «Bewegung» lange nichts von sich hören. Man darf wohl davon ausgehen, dass ihr Götter-Raumschiff auf dem Weg zur Erde mit dem der «Reptiloiden» kollidiert ist. Doch leitete diese Blamage keineswegs ihr Ende ein, bedeutet nicht, dass ihre Ideen nicht mehr im Umlauf sind. Im Gegenteil. Sie wurden lediglich modifiziert, werden auf Blogs und sozialen Netzwerken verbreitet, die wiederum bevorzugt zur Desinformation und Hoffnungsmache genutzt werden, was wiederum zu mehr Ohnmacht führt. Die gezielte Platzierung von Falschmeldungen in sozialen Netzwerken und ihre Verbreitung mit Hilfe anderer kommunikativer Mittel haben sich (nicht nur) im Kampf gegen den Hellenismos vielfach bewährt, nicht von ungefähr zählen solche Aktionen zu den Hauptbetätigungsfeldern von religiösen Fanatikern und autonomen Nationalisten. Propaganda und Verleumdung heißen die wichtigsten Waffen des Antihellenismus. In einem Land, das ständig auf «die Antike» rekurriert, werden die an den Pranger gestellt, die eben diese «Antike» ernst nehmen. Aber das ist nicht das einzige Paradoxon.

Viele der Thesen von Fourakis sind eigentlich nicht seine eigenen, sondern von seiner Kirche erfunden, werden von frommen Fundamentalisten weiterhin im Netz verbreitet, gehören zu den «Zehn Geboten» der griechischsprachigen Nationalisten, sollen die ideologisch generierten identitären Bausteine der griechischsprachigen Orthodoxie gegen Zweifel immunisieren und eine Legitimation für den in diesen Kreisen gepflegten Umgang mit der Geschichte schaffen, der Brücken schlagen will zwischen Hellenentum und Christentum, Antike und Byzanz, um so die eigene Perspektive auf die Geschichte zu untermauern und nach außen hin als richtig zu vertreten. So waren die Orphiker Monotheisten, haben an den «einen Gott geglaubt», ebenso die antiken Denker und Philosophen.[104] Was hat denn die Orthodoxie anderes getan, als in die Fußstapfen der griechischen Philosophen zu treten? Bereits hier stoßen wir auf ein Argumentationsmuster, aus dem das Narrativ der Fortsetzung abgeleitet wird und auf das die Kirche besonders gerne zurückgreift. So manch einer tut sich mit der Idee schwer, dass der entscheidende Unterschied zwischen Poly- und Monotheismus nicht die Anzahl der Götter ist, sondern ihre Beziehung zum Kosmos.[105] Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, diesen Leuten die Lektüre der orphischen Hymnen ans Herz zu legen, jedoch wäre dies in den meisten Fällen vergebliche Mühe; die Abwehrmechanismen ihres Ich sind mit Weihwasser versiegelt und lassen keinen noch so schmalen Lichtstreifen durch, der ihr Weltbild durcheinander bringen könnte. Nun ist das aber gar nicht so inkonsequent: wenn sie den Heiligenviten und Wunderberichten der Kirche glauben können, so fantastisch sie auch sein mögen, dann können sie genauso gut auch Fourakis und seinen Geschichten Glauben schenken. Fünf Jahre nach seinem Tod wird Fourakis von christlichen Zeitungen wie die berüchtigte Eleftheri Ora gefeiert, die Hand in Hand mit der Apostolischen Diakonie der Kirche Griechenlands die Neuauflage seines Buches «Die (Vor)Zeichen von Delphi und der zionistische Python», Bücher von Konstantinos Plevris und die Protokolle der Weisen von Zion vertreibt (XYZ Contagion, 27.12.2015). Aber das überrascht eigentlich niemanden. Wenn der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, Hieronymos II., seine Kirche verfolgt und gegen sie eine Verschwörung «unter den Direktiven des neuen Zeitalters und der neuen Weltordnung» laufen sieht, zeigt das nur allzu deutlich, dass die Orthodoxie der in ihr nistenden reaktionären Aufklärungsfeindlichkeit treu geblieben ist (Lefteris Savvides, News247 Online, 04.10.2016). Die Liebe zu Verschwörungstheorien in Griechenland eint die unterschiedlichsten Lager – und nur auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass sie gar nicht so unterschiedlich sind.

Nach Fourakis‘ Tod meldeten sich vereinzelt Stimmen zu Wort, die Hellenen hätten ihn zum Schweigen gebracht, schließlich habe er sie bloßgestellt. Hätten diese Leute auch nur einen Funken Vernunft im Leib, würden sie den Worten eines Mannes, der sich öffentlich als Betrüger zu erkennen gab, kein Gewicht beimessen, nur weil er ihr Weltbild bestätigte, würden nicht ernsthaft glauben, dass die Hellenen ihn dafür bezahlt hätten, aus dem Hellenentum eine Parodie und ihren Göttern Aliens zu machen. Für die Weiterführung der hellenischen Zeitschrift DIIPETES, den Bau eines Tempels oder einer Schule hatten sie nicht genug Geld in der Tasche, aber dafür einen Verschwörungstheoretiker beauftragt, sie selber und ihre Tradition in die Gosse zu ziehen, um ihn dann wieder loszuwerden? Hier zeigt sich, dass mit der Vernunft auch das Urteilsvermögen der Verschwörungsjunkies zum Teufel fährt. In ihrem Bestreben, den Hellenismos anrüchig erscheinen zu lassen und in Verruf zu bringen, geben sich gewisse Leute der Lächerlichkeit preis und klopfen sich dafür noch auf die Schultern. So heißt es beispielsweise in einem Artikel im Netz: «Der bekannte Autor und Leithammel des Dodekatheismus [!] Ioannis Fourakis … packt, offenbar von Reue geplagt, gegen alle und alles aus und scheut auch nicht davor zurück, nicht nur die Clique, der er viele Jahre gedient hat, sondern auch sich selbst einen Betrüger zu nennen». Das «Outing» des Fourakis wird nachträglich idealisiert, um seinen vermeintlichen Enthüllungen einen spektakulären Zug zu verleihen, er selbst heroisiert, damit er als vermeintlicher Zeuge gegen den Hellenismos erhalten bleiben kann. Das «Outing» disqualifiziert ihn nicht etwa, nein, er wird dadurch glaubwürdiger denn je. Dabei war es Fourakis selbst, der am 8. September 2006 in seinem Forum Fourakis-Kea erklärt hatte, dass «zwischen mir und dem YSEE Krieg» herrsche, also vier Jahre vor seinem letzten Auftritt. Sein Beitrag im Thread «Mein Krieg gegen den YSEE» vom September 2006 beginnt mit dem folgenden Satz: «Wie bekannt, habe ich ab Mitte des vergangenen Junis einen Krieg angefangen gegen den YSEE (‹Oberster Rat der ethnischen Hellenen)» (zuletzt abgerufen am 06.11.2019). Über diesen Krieg habe er bereits in einem Artikel auf seiner Internetseite berichtet. Familiäre und andere Gründe hätten ihn bewogen, seine Angriffe auf den YSEE vorerst einzustellen, aber Fourakis ließ keinen Zweifel darüber bestehen, dass «der Krieg mit dem YSEE» weitergehen würde, «entschiedener und härter» als zuvor. Zu der Zeit hatte der YSEE ein eigenes Forum auf seiner Internetseite. Ein Nutzer hatte am 5. September 2006 einen Beitrag im YSEE-Forum veröffentlicht, in dem es unter anderem hieß, dass Fourakis «gekauft» sei und «falsche Gerüchte über das Privatleben der Mitglieder dieses Forums» streue. Fourakis, der diese Beiträge in seinem Thread zitierte, ging auf diese Vorwürfe ein, indem er sagte, dass er weder gekauft noch zu kaufen sei. Das alles ist öffentlich zugänglich und beweist, dass die ethnischen Hellenen und Fourakis bereits vor 2010 verfeindet waren. Der YSEE hat zur Person Fourakis nichts veröffentlicht, wohl aber zur «Theorie über die Gruppe E» Stellung bezogen, auf die er in der Vergangenheit oft angesprochen wurde. In seinen «Antworten auf häufige Fragen» bezeichnet der YSEE die «Theorie über die Gruppe E» seit jeher als «Märchen» und «Betrug» (YSEE: FAQ, Nr. 42), jedoch ohne Fourakis namentlich zu nennen. Vlassis G. Rassias publizierte 2000 einen Artikel, in dem er die «Gruppe E» ebenfalls ein «Märchen» nannte, eine «lächerliche Theorie», die es nicht wert sei, dass man sich als ethnischer Hellene ernsthaft mit ihr auseinandersetze. Die «Theoretiker dieser unglaublichen Misinterpretation des echten und einfachen Lebens» geißelt er als Betrüger (DIIPETES, Ausgabe Nr. 34, Februar-März 2000). Es bedarf nicht viel Recherche, um herauszufinden, wie es um die Beziehung zwischen ethnischen Hellenen und Fourakis bestellt war, wie es für logisch denkende Menschen auch keines Outings bedurfte, um Fourakis richtig einzuordnen.

Die Geschichten, die Fourakis und andere Autoren seines Schlages in die Welt setzten, lassen sich leicht und mit wenig Aufwand widerlegen. Die dafür benötigten Informationen stehen im Internet und sind somit für alle Menschen frei zugänglich, aber die Verschwörungstheoretiker sind in den allermeisten Fällen weder an der Überprüfung solcher Geschichten noch an ein adäquates Verhältnis zur Wirklichkeit interessiert. Das mag daran liegen, dass in Griechenland der Irrationalismus und Aberglaube massiv gefördert wird, aber auch daran, dass Gerüchte dieser Art anerzogene Stereotype bestätigen und bereits zu tief in den Köpfen vieler Menschen sitzen, so dass sie sich nicht einfach auflösen lassen, zumal sie ihren Zweck erfüllen und darüber hinaus ein Erklärungsmodell für eine sich immer schneller verändernde Welt anbieten, die vielen Menschen Angst macht. In diesem Strudel der Veränderungen können anerzogene Stereotype und Verschwörungstheorien eine Konstante bilden, die ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wie bereits angemerkt, sind diese Geschichten nicht neu, vielmehr begleiten sie die Menschen seit ihrer Kindheit, entwickelten sich mit der Zeit zu einem Filter, durch den sie die Welt betrachten und interpretieren. Diese Erziehung zum Irrationalismus ist genau besehen ein Missbrauch, eine Misshandlung des vernunftbegabten Wesens Mensch, die seine immanente Fähigkeit, zu verstehen und zu erkennen, verkrüppelt und gegen ihn richtet, um Strukturen zu schützen und Zwecke zu verfolgen, die ihm Schaden zufügen.

Die konspirativen Narrative und Falschnachrichten, die Fourakis rezipierte, werden in sozialen Netzwerken gestreut, verbreitet, von Nationalisten und Vertretern der orthodoxen Kirche immer wieder neu aufgewärmt, so zum Beispiel vom Bischof Seraphim von Piräus, der freilich auch gegen die Juden ins Feld zieht, während eines Auftritts beim griechischen Privatsender Mega-Channel sogar die Behauptung aufstellte, dass Hitler im Auftrag des Zionismus gehandelt habe, um «die Juden zur Ausreise aus Europa zu treiben und mit dem Staat Israel ein neues Imperium zu gründen».[106] Doch Bischof Seraphim steht mit solchen Äußerungen nicht allein da. Ähnliche Äußerungen wurden von Laien und Mönchen gleichermaßen getätigt. Aber bei Journalisten und Moderatoren, welche den Klerus mit «Eure Heiligkeit» ansprechen oder vor einer Unterbrechung «demütigst um Entschuldigung» bitten, brauchen wir uns nicht wundern, wenn kirchliche Würdenträger mit solchen und ähnlichen Äußerungen davonkommen. Der Antijudaismus begleitet das Christentum seit seinen Anfängen bis heute und ist in Griechenland besonders stark verbreitet. Eine Studie der amerikanischen Anti-Defamation League (ADL) vom Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass «nicht in Ländern wie Polen, Ungarn oder die Ukraine die meisten antisemitische Vorurteile, Ressentiments und Stereotypen unter der Bevölkerung verbreitet sind, sondern mit 69 Prozent in Griechenland». Besonders ausgeprägt ist der Antisemitismus bei Personen, «die eine sehr starke Anbindung an die griechisch-orthodoxe Kirche haben» (Deutsche Welle, Antisemitismus in Griechenland, 16.09.2017). Die Makedonien-Universität von Thessaloniki und die Universität von Oxford sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Ein Jahr später erreichte Griechenland Antisemitismuswerte von 67 % (ADL, Greece 2015). Rabbi David Rosen hat recht, wenn er sagt, dass der «Antisemitismus innerhalb» der orthodoxen Kirche weiterhin aktiv ist. Nur müssen wir leider feststellen, dass der Antihellenismus nicht nur in der Orthodoxie floriert, sondern auch in manchen jüdischen Kreisen.[107][108] Aber das ist ein anderes Thema.

Bischof Seraphim hatte auch die Hellenen ins Auge gefasst. Er nennt sie «die Neopaganisten», verunglimpft den antiken Polytheismus, macht den heutigen zum «Neopaganismus», den die New-Age-Bewegung und «neue Weltordnung» erfunden habe, um in Zusammenarbeit mit dem Islam das Christentum zu bekämpfen. Die Ethniker in Griechenland stellen sich, so Seraphim, «mit aller Kraft» in den Dienst des «internationalen Zionismus», den sie zu bekämpfen vorgeben, aber in Wirklichkeit arbeiten sie an der Verwirklichung seines Planes zur «Errichtung der Diktatur der globalen luziferischen Religion». Typisch orthodoxe Floskeln. Und wenn der heilige Bischof schon beim Thema ist, muss er noch unbedingt hinzufügen, dass die Zerschlagung demokratischer Institutionen, die Schließung philosophischer Schulen, die Verfolgung der Philosophen und das Abfackeln von Bibliotheken durch die alten Christen nur Hirngespinste seien und die Hellenen von ausländischen Geldgebern, den «bekannten Bankern» finanziert werden.[109] Das muss wohl der Grund sein, weshalb sie sich bis heute den Bau eines Tempels oder einer Schule nicht leisten können, während die orthodoxe Kirche weiterhin im Staatsgeld schwimmt. Auf einmal scheint der Metropolit auch ein Problem mit den Nazis der Goldenen Morgenröte zu haben, wo er doch früher anderer Meinung war, seine Kirche gelegentlich gemeinsame Sache mit der Partei machte, wie Evgenia Fotiou uns in Erinnerung ruft (CrossCurrents, Juni 2014), er selbst dem Parteichef eine Ikone der Gottesmutter Maria schenkte.[110] Dass er sich seit einiger Zeit gegen die Goldene Morgenröte stellt und ihr eine «pagane» Ideologie unterstellt, von ihr eine Abkehr vom «Neopaganismus» fordert, hat sicher nichts mit der steigenden Antipathie der Bevölkerung gegen die Nazis zu tun. Nein, Opportunismus liegt diesem heiligen Mann von Piräus sicher genauso fern wie das Christentum dem Schamgefühl.

Während Journalisten, Blogger und Kirchenmänner den Leuten zunächst weismachen wollten, dass ethnische Hellenen, Anhänger der Epsilon und Mitglieder der Goldenen Morgenröte zur gleichen Szene gehören, undifferenziert von den «Antike-Verehrern»archaiolatres») sprachen, ein vor vielen Jahren neutral besetzter Begriff, war später von einer Zersplitterung der «Szene» die Rede, ließen sich ja die Unterschiede und Konflikte zwischen ethnischen Hellenen und Archäozentristen nicht mehr kaschieren, dafür hatte das Internet gesorgt. Fourakis unternahm den Versuch, im Hellenismos Fuß zu fassen oder zumindest bei den Menschen anzukommen, die ein reges Interesse für die hellenische Tradition zeigen, wurde aber nicht nur daran gehindert, sondern auch noch von den Hellenen mit Spott überzogen und indirekt des Betrugs bezichtigt, indem die «Gruppe E» als Schwindel oder auch als ein messianisches Blendwerk verworfen wurde, das zur allgemeinen Apathie und messianischen Erwartungshaltung beiträgt. Gekränkt wie er war, hatte er keinen Grund mehr, den «Sympathisanten» zu spielen und konnte endlich offen gegen den Hellenismos zu Felde ziehen, wobei ihm die Liebe der Fundamentalisten zum Fantastischen und Irrationalen zugute kam, später dann auch ihre Naivität, den Worten eines Mannes zu trauen, welcher sich selbst einen Betrüger nannte, nur weil er ihre Vorurteile bestätigte. Dabei hätte sein Eingeständnis sie stutzig machen, zur selbstkritischen Hinterfragung der eigenen Sicht führen müssen. Wenn Fourakis ein Schwindler war, was ist dann mit allen anderen Autoren der «Szene»? Aber von Menschen, die aus einer antiken Inschrift die Herkunft der Griechen von den Sternen herauslesen, eine der zahllosen Geschichten der Archäozentristen, dürfen wir nichts dergleichen erwarten (Spyros Avgerinopoulos, Ellinika Hoaxes, 17.04.2016). Dass Fourakis nie ein Ethniker war, ist eigentlich offensichtlich, zum einen, weil er Christ war, zum anderen, weil seine Schriften und Interviews etwas anderes sagen. Fourakis selber hat nie behauptet, Ethniker zu sein. Das haben andere getan. Aber das sollte sich eigentlich von allein verstehen. Ufo-Kult und Nationalismus gab es in der Antike nicht. Aber das lag nicht an der Zeit, sondern an ihren Menschen, den Kulturvölkern. Wäre das Schulsystem in Griechenland nicht das, was es ist, müssten wir derlei Selbstverständlichkeiten nicht extra erläutern. Davon abgesehen sind Fourakis’ Geschichten völlig abwegig und stehen im Widerspruch zur historischen polytheistischen Tradition der Hellenen, und zum gesunden Menschenverstand sowieso. Viel wichtiger noch, sie stehen im Widerspruch zum Humanismus. Und das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, schließlich ist der Hellenismos eine humanistische Religion. Die Götter der Hellenen bekämpfen weder die Juden noch hassen sie die Menschen oder Völker, die sie nicht verehren. Sie verdammen nicht die einen, begnaden nicht die anderen, rufen nicht zu heiligen Kriegen auf, verlangen nicht nach weltweiter Verehrung, unbedingtem Gehorsam, Ausschließlichkeit. Die Anmaßung hinter solch infantilen Forderungen ist ihnen fremd. «Die Götter sind mit allen Tugenden begabt und ohne einen Hauch des Bösen» (Kleanthes).[111] Wenn schon besonnene Menschen eine solche Überhebung zu vermeiden suchen, kommt sie für die Götter erst recht nicht in Frage. «Hybris ist Überhebung in Wort und Tat» und als solche kein Kennzeichen des Hellenismos.[112] Weder möchte dieser weltweit dominieren («Church of Hellenes») noch betrachtet er andere Völker als minderwertig (Nationalismus). Er ist ein gleichwertiger Baustein im großen und bunten Mosaik der Ethnosphäre.

Aber wie bereits angemerkt, werden die Götter der Griechen nicht nur in Griechenland oder in Großbritannien, aber auch in Deutschland zu «Kindern» und «Engeln» des Christengottes degradiert. Der unheilvolle Geist der Esoterik erobert den europäischen Büchermarkt. Er macht weder vor den fernöstlichen Lehren halt noch vor den ethnischen Religionen Europas. Die Esoterik versteht sich als Weg, der zur Erkenntnis führt, als Träger eines geheimen Wissens, das der großen Masse verschlossen bleibt. Aber wenn Esoteriker behaupten, dass beispielsweise Apollon und Hermes «Engelwesen», d.h. Boten des biblischen Gottes seien, bekunden sie fehlende Kenntnis der Materie und vermitteln überdies, wie es um den Zustand der Esoterik bestellt ist.[113][114] Hinter solchen Aussagen steckt jedoch keine böse Absicht, sondern lediglich Unkenntnis. Der Schaden, den der Hellenismos durch die Esoterik und das «Neuheidentum» erlitten hat, ist zwar nicht gering, aber auch nicht überzubewerten, was sicher daran liegt, dass die Esoterik in Griechenland ein relativ neues Phänomen ist. Damit das so bleibt und einige ernste Missverständnisse korrigiert werden, müssen Grenzen gesetzt werden, die signalisieren sollen, dass diese Art des Umgangs mit der hellenischen Tradition nicht gebilligt wird. Der Epsilonismus hat nicht wenige Menschen in sein Fahrwasser gezogen, doch hat sich die hellenische Religion davon nicht beeindrucken lassen, ihre Grenzen scharf akzentuiert und schließlich die staatliche Anerkennung erlangt. Zumindest in Griechenland traf der Epsilonismus auf massiven Widerstand. Der YSEE wies schon vor vielen Jahren auf den messianischen Charakter dieser Theorie hin, konnte so der pejorativen Gleichsetzung mit dem Epsilonismus entgegenwirken. Für ihn stand von Anfang an klar: der Epsilonismus sei dazu da, die Menschen zu betäuben und verrückt zu machen.[115] Rassias schrieb, dass nach 10, 20 oder mehr Jahren sich niemand mehr an die Erfinder dieser Theorie erinnern würde, die «unsere ethnischen Götter finstere Mondwesen» schimpfen.[116] Für ihn bestand kein Grund, Menschen, die daran glauben wollen, davon abzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, den Hellenismos korrekt darzustellen und Zerrbilder aufzulösen, nicht andere von etwas abzuhalten oder schlimmer noch, sie zu bekehren. Die Epsilon-Autoren haben das Recht auf freie Meinungsäußerung und wir die Pflicht, unsere Kultur zu beschützen.

5. Schlusswort

Wir haben nun einen Blick auf das Christentum, den Okkultismus, das «Neuheidentum», den Archäozentrismus und auf die Esoterik geworfen und ihr Verhältnis zum Hellenismos untersucht. Ich denke, dass die Unterschiede gut herausgearbeitet wurden. Ein Streifzug durch hellenische und «neopagane» Foren, Bücher und Artikel wird jedermann den Beweis liefern, dass meine Angaben richtig sind. Wie könnte es auch anders sein? Die Differenzen sind unübersehbar. Der «Neopaganismus» hält den Individualismus hoch, der Hellenismos das Kollektiv. Der «Neopaganismus» hat keine antiken Wurzeln und orientiert sich nicht an die ethnischen Kulturen. Die ethnischen Hellenen hingegen orientieren sich ans archaische, vor allem ans klassische Athen, knüpfen an die Spätantike, das Mittelalter an. Aber die Hellenen des Mittelalters waren keine «Neuheiden», nicht am Individualismus, Ökofeminismus oder am weiblichen Prinzip interessiert. Sie hatten andere Ziele. Plethon und sein polytheistischer Zirkel haben «die Wiedergeburt des Hellenentums ernsthaft versucht».[117] Aus diesem Grund wird der heutige Hellenismos auf Plethon zurückgeführt. Rassias nannte ihn zurecht «unseren Ur-Großvater». Doch er war nicht der einzige Ethniker seiner Zeit. Michael Marullus war auch einer, ebenso sein Großvater und sein Vater. Viele Stratioten, Krieger, die sich als Söldner verdingten, scheinen Ethniker gewesen zu sein. Laut dem Historiker Konstantinos Sathas (1842-1914) existierte am Beginn der sogenannten Neuzeit ein hellenischer Geheimbund mit dem Namen «Attische Gesellschaft», der fest entschlossen an der «Wiederbelebung der hellenischen Bildung, eingeborenen Identität und der väterlichen Sitten» arbeitete. Leider erfüllte sich die Vision der Attischen Gesellschaft nicht. Verführt von den Verheißungen eines materiellen Wohlstands, sollen manche ihrer Mitglieder vom Weg abgekommen sein und auf diese Weise zum Zerfall der Gesellschaft entscheidend beigetragen haben. Hätte es mehr Hellenen wie Plethon und Marullus gegeben, wäre die Attische Gesellschaft vielleicht erfolgreich gewesen.[118] Wir werden es nie mit Sicherheit wissen.

Der Hellenismos kann also schon deshalb keine «neopagane» Religion sein, weil er eine andere Geschichte hat und älter ist als der «Neopaganismus». Ihm geht es nicht um Kreativität, Selbstfindung oder Magie. Der «Neopaganismus» ist nun einmal ein modernes Phänomen, das im Widerspruch zu eben den Traditionen steht, als deren neue Verkörperung er sich ausgibt. Seine Ritualstruktur bezeugt seine Abstammung. Ob er sich in dieser Form keltisch nennt und in der anderen ägyptisch, die Struktur und Mentalität bleibt die gleiche. Am deutlichsten fällt die gegenaufklärerische Note ins Auge, die ihn vom Hellenismos und anderen Traditionen trennt. In ihm haben sich Meinungen und Anschauungen zu den Göttern, Religionen und Mysterien diverser Ethnien verfestigt, die in keinem adäquaten Verhältnis zur historischen Wirklichkeit stehen. Das Problem ist nicht, dass «neuheidnische» Autoren an das glauben, an das sie glauben, sondern dass sie ihre Ansichten nicht als solche kenntlich machen. Solange das nicht passiert muss das «Neuheidentum» mit Widerstand rechnen, zumal pagane Ansichten oder Praktiken als hellenisch ausgegeben werden. Dadurch wird die Öffentlichkeit getäuscht und Antihellenen ermutigt. Das verletzt die Souveränität und kollektive Würde der Hellenen. Die sicher unbeabsichtigte Skurrilisierung der Mythen, die Verzerrung der Geschichte (z.B. die Stellung der Frau im Hellenentum) und die Verwendung der Götter als «Batterien» oder «Werkzeuge» für magische Zwecke ist des Hellenentums unwürdig und mit seinen Werten nicht zu vereinbaren. Vor allem stört die Einschnürung der Götter in eine mentale Schablone, die jeglicher Pietät entbehrt. Wenn aber ein lächerliches oder unseriöses Bild von ihnen nach außen dringt, schadet das dem Hellenismos, weil daraus falsche Schlüsse gezogen werden. Im schlimmsten Falle würde das bedeuten, dass der Hellenismos die Bilder ausbaden muss, die das «Neuheidentum» produziert, obwohl ersterer für letzteren nicht verantwortlich ist, zumal viele nicht zwischen Hellenismos und «Neuheidentum» zu unterscheiden wissen. Die allermeisten «Neuheiden» haben sicher keine schlechten Absichten, doch ändert das nichts am Endergebnis.

Die Absurdisierung der ethnischen Religionen durch ihre Einbeziehung ins «Neuheidentum» schadet den Hellenen und anderen Polytheisten, weil sie dann mit diesem assoziiert werden könnten. Und das obwohl die Hellenen die kulturelle Aneignung (cultural appropriation) des Hellenismos durch das angloamerikanische «Neuheidentum» zurecht als feindlichen Akt auffassen und behandeln. Es ist eine Diskreditierung durch Aneignung – eine Aneignung wohlgemerkt, die immer absurdere Züge annimmt. Die meisten Menschen unterscheiden nun nicht zwischen wikipediagemachten und echten «Neuheiden», und weil der Hellenismos mit aller «Gewalt der Arroganz» der gleichen Kategorie zugeführt wird, sieht er sich durchaus mit Vorurteilen oder Fragen konfrontiert, die eigentlich nicht ihm gelten. Klar, wir können später erklären, dass das nicht unsere Götter sind und wir damit nichts zu tun haben, aber wenn etwas erst einmal ins Bewusstsein der Menge eingegangen ist, kann es nur schwer korrigiert werden. Das können wir zur Zeit in Griechenland beobachten, wo die Propaganda zwar viel länger läuft, gerade deshalb aber demonstriert, wohin solche Entwicklungen führen können. Ehrlich gesagt, zweifle ich daran, dass, wenn der Hellenismos genauso etabliert wäre wie z.B. der Hinduismus oder Shintoismus, die Behandlung erfahren würde, die er momentan erdulden muss. Nun verfügen wir nicht über diese Stärke und können gegen solche Behauptungen oder Unterstellungen schwer rechtlich vorgehen. Doch die Zeit arbeitet für uns.

Es gibt aber auch einen weiteren, schon oben genannten Grund, weshalb der Hellenismos nicht «neopagan» sein kann: die Hellenen sind keine «Anhänger» einer Religion, sie sind Mitglieder einer Ethnie, in der es auch Atheisten und Agnostiker gibt, auch wenn diese eine kleine Minderheit bilden. Das wurde nie beachtet. Ein andere Frage, die unbeantwortet bleibt, ist die Frage nach den Kriterien, nach denen entschieden wird, welche Religion «neopagan» zu nennen ist. Der Vorgang der Einstufung ist intransparent. Wir jedenfalls haben uns nicht von Christentum und Romiosini losgesagt, um im «Neuheidentum» zu landen. Unser Ziel war das Hellenentum. Wir brachen mit der Romiosini und befreiten uns vom christlichen Denken, seinen Motiven und Werten. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das heutige Griechenland ist ein durch und durch christliches Land. Die Kirche durchdringt alle Bereiche des menschlichen Lebens, beeinflusst die Art, wie Menschen denken, kommunizieren und zusammenleben. Überall Kirchen, in fast jeder Ecke eine Kapelle, in öffentlichen Gebäuden Ikonen von Heiligen, die den Hellenismos bekämpften, Tempel zerstörten, Ethniker verfolgten, Hass und Zwietracht schürten und die zu achten, gar als Vorbilder zu sehen uns beigebracht worden ist. Der Weg zum Hellenismos geht über den Bruch mit der früheren Kultur, der Romiosini. Wer etwas von kultureller Identität versteht, weiß, was das für einen Menschen bedeutet. Es ist eine Veränderung, die mit enormen inneren Konflikten einhergeht, ein Ereignis, das nicht überbewertet werden kann, denn es betrifft den ganzen Menschen.

Schlägt jemand den Weg zu dieser Art der Katharsis ein, muss er alles auf den Kopf stellen, was er zeit seines Lebens als gegeben hinnahm, darunter auch seine Zugehörigkeit. Vieles, was uns die romäische Gesellschaft über unser christliches Elternhaus und die Schule fürs Leben mitgab, unser Selbstverständnis, die Vorstellung davon, was es bedeutet, Hellene zu sein, musste schließlich verworfen oder neu definiert werden, um diesen Weg überhaupt gehen zu können. Für diejenigen, die außerhalb Griechenlands geboren und aufgewachsen sind, die im Ausland leben, nicht jeden Tag mit der gleichen Propaganda berieselt werden, was die Wiederaneignung des eigenen Verstandes vor große Probleme stellt, gestaltet sich dieser Prozess einfacher, aber auch sie müssen Opfer bringen, Neuland betreten, für das es noch keine Landkarte gibt. Das ist kein Pappenstiel. Denn wir mussten über Dinge nachdenken, die vermeintlich evident sind, mit uns selbst hadern, zweifeln, verdrängen, dann der Wahrheit ins Gesicht schauen und zugeben, dass wir belogen und betrogen wurden. Alles, von dem wir meinten, dass es zu uns, zum Griechischsein gehört, weil Staat und Kirche es uns so beibrachten, brach weg, wurde erst zaghaft angezweifelt, später dann revidiert oder ganz fallen gelassen, wenn es sich als unhaltbar erwies. Aber das ist nicht alles, denn wir müssen nicht nur den Gedanken zulassen, betrogen worden zu sein, sondern auch in unserer geistigen Entwicklung blockiert, unser Verstand bewusst geschwächt, um glauben zu können, was geglaubt werden muss, damit die Romiosini und die Macht der Kirche weiterhin erhalten bleibt. Sich davon zu lösen, selbst mit Hilfe der antiken Literatur, ist schwierig. Es gibt nicht wenige Menschen, die sich zwischen den Welten, den Kulturen verloren haben. Der Archäozentrismus ist in gewisser Hinsicht ein Ausdruck dieser Verlorenheit. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir das Ziel am Ende des Weges erreichen. Die Emanzipation kann gelingen, sie kann aber auch missglücken. Der Prozess der Befreiung ist in erster Linie ein Prozess der Zerrissenheit und der Qual. Vlassis G. Rassias sagte dazu: «[wir] fochten einen Kampf aus, um uns zu befreien. Manches fühlte sich bei seiner Entfernung aus unserem Bewusstsein an, als würde uns das Herz zerspringen. Doch es musste so sein, denn die Gedanken in unseren Köpfen waren nicht unsere eigenen, sondern wurden uns eingepflanzt … [Erst dann können wir als] freie Menschen entscheiden, wie wir von nun an über uns, den Kosmos, die Natur und die Menschen denken werden».[119] Es ging nie (allein) darum, anstatt Jesus Zeus zu verehren, sondern ein anderes Wertesystem zu verinnerlichen, sich eine neue Identität aufzubauen und dadurch letztendlich zu anderen Menschen zu werden. Das hellenische Denken üben, bis es zu unserem eigenen wird. Es sich aneignen, verinnerlichen, die Welt aus hellenischen Augen betrachten, ohne die Tradition als Relikt zu behandeln oder sich vor der heutigen Zeit und ihren ganz eigenen Herausforderungen zu verschließen, wie es die Religionen tun, welche an ein antikes Schriftgut gebunden sind. Dieser Prozess dauert Jahre, bringt viele Narben, aber auch die Erkenntnisse eines veränderten Menschen. Denn die Rehellenisierung ist keine Forderung an die Gesellschaft, sondern an einen selbst.

Wir sind keine antiken Griechen, sondern Menschen der heutigen Zeit. Das ist uns wohl bewusst. Unsere Seelen indes haben einer anderen Kultur, einem anderen Wertesystem die Treue geschworen. Diese andere Kultur kennt ein anderes Verhalten, Denken und Verstehen, das wir der heutigen Gesellschaft vorziehen. Wenn alles Christliche aus der Psyche nicht entfernt, wenn keine Entchristianisierung der Persönlichkeit stattfindet, wird jedes Bekenntnis zum Hellenentum nichts als bloßes Lippenbekenntnis sein. Erst wenn wir das Christentum, das Abendland und die Romiosini aus unserem Bewusstsein entfernen, schaffen wir Raum für Neues, in unserem Fall für das Hellenentum. Seine Wiederbelebung ist tatsächlich möglich, denn wir sprechen und schreiben Hellenisch, trotz aller Veränderungen durch die Zeit. Schrift und Sprache der Hellenen beherbergen auch den Schlüssel zu ihrer Weltanschauung. Die große Mehrheit der ethnischen Hellenen lebt im Land der Hellenen, wo ihre Geschichte ein Stück weit immer noch lebendig, beinahe greifbar ist: Monumente erinnern an unsere Geschichte und Orte erzählen von den alten Mythen. Wir atmen und erleben das besondere Klima, die einzigartige Flora und Fauna Griechenlands, schwimmen in seinen Gewässern und schauen nachts zu den gleichen Sternen, die unseren Ahnen ein Rätsel waren. Am wichtigsten ist die Sprache in Zusammenhang mit den Sitten und Mythen. Hier liegt das Fundament für die Revitalisierung des Hellenentums. Erst durch die Sprache können viele Konzepte hinter den Begriffen überhaupt verstanden werden, die sich nicht leicht in andere Sprachen übersetzen lassen. Durch sie gelangen wir in die Nähe der Alten. Nicht nur wegen des Einhaltens der Orthopraxie, sondern auch aus diesem Grund wird der Kult in Altgriechisch abgehalten, wenn auch nicht immer und auch nicht von allen. Wer meint, wir könnten keine Hellenen sein, weil wir keine direkten Nachfahren von Perikles seien, der hat nicht verstanden, dass Blut kein Übermittler von Tugenden oder ein Träger von Identität ist, hat nicht verstanden, dass es nicht darum geht, antike Griechen zu sein, sondern hellenische Menschen. Wir wundern uns nicht, wenn wir von «Neuheiden» und Rassisten aus den USA hören, dass wir keine Hellenen seien, das Hellenentum nicht uns gehöre, wir nicht der «hellenischen Nation» angehören, weil kein «hellenisches Blut» in unseren Adern fließe. Diese und andere Aussagen werden im Internet von Menschen getätigt (einige davon bezeichnen sich selbst als «Priester» und «Hexen»), die die moderne Nation mit der Ethnie verwechseln, das Kultur- mit dem Staatsvolk, die neuesten DNA-Untersuchungen nicht kennen und nicht wissen, dass die «Rasse» eine westeuropäische Erfindung des 17. Jahrhunderts ist (Encyclopedia Britannica: Race; ScienceMag, 02.08.2017). Blut hat mit Ethos, Arete und Paideia nicht das Geringste zu tun. Im Hellenismos geht es um das Ethos, die Weltanschauung und das Wertesystem der Hellenen, nicht um Körperflüssigkeiten. Aber das ist schwer zu verstehen, wenn man aus der Zelle des Eurozentrismus und spirituellen Kolonialismus auf die Welt blickt, die Relativität des Monotheismus und seiner Kultur nicht erkannt hat, die Tradition als Vergangenheit oder im schlimmsten Falle als Reenactment begreift, nicht als lebendige Gegenwart.[120] Aber das ist zum Glück nicht unser Problem.

Der Hellenismos ist allen Behauptungen zum Trotz ein Ethnismus, der den Fortschritt, der ihn immer charakterisierte, nie von der Besinnung auf seine Geschichte und ethnische Identität abkoppelte. Diese Geschichte und Identität ist es, die ihn definiert und zu dem macht, was er ist. Deshalb werden wir uns weiterhin für seine Verteidigung, Rehabilitierung und Fortsetzung einsetzen und unser Bestes geben, damit die Menschen ihn als das kennenlernen und akzeptieren, was er wirklich ist, wissend, dass die zukünftigen Generationen das vollbringen werden, was wir begonnen haben. Wir schulden es den Gefallenen, auf das ihr Schweiß und Blut nicht vergeblich geflossen ist und wir schulden es den Ungeborenen, auf dass ihr Weg leichter sein wird als es unser eigener Weg war.


Nachweise:

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2. Duden Online, Stichwort: «Neuheidentum» (zuletzt abgerufen am 30.03.2013)
3. «Hexe», «Hexenbewegung» und «Hexenkult» sind hier positiv besetzt, dienen in dieser Bewegung als Selbstbezeichnungen. Die «Hexe» wird von diesen Gruppen und ihnen nahestehenden Individuen als Heilerin oder als Priesterin einer «großen Göttin» interpretiert und mit einer spezifischen religiösen Gesinnung in Verbindung gebracht.
4. Bedeutet «Wesen, Kultur der Hellenen». Duden Online, Stichwort: «Hellenentum», (zuletzt abgerufen am 30.03.2013)
5. Neopaganismus, in: Wikipedia (zuletzt abgerufen am 30.03.2013)
6. Timothy Jay Alexander im Interview mit dem hellenischen Online-Magazin «Ideon Antron», Ausgabe Nr. 2, S. 40-45, Herausgeber: Thyrsos, Sprache: Griechisch. Englische Version: veröffentlicht am 13. Januar 2011, in: Hellenismos (Artikel: Kategorie: Hellenismos). URL: http://hellenismos.us/b/2011/01/interview-in-ideon-antron/ (zuletzt abgerufen am 15.04.2011).
7. Marion Giebel: Kaiser Julian Apostata: Die Wiederkehr der alten Götter, S. 8, Düsseldorf: Patmos, 2006.
8. «Der Duotheismus ist innerhalb des Wicca auf die Arbeiten Dion Fortunes zurückzuführen […]. Dion Fortune war keine Hexe, sondern eine Anhängerin der westlich-okkultistischen Tradition, die deutliche kabbalistische Einflüsse aufweist.» Janet Farrar, Gavin Bone: Progressive Witchcraft: Neue Ideen für den Hexenkult, S. 48, 1. Aufl., Uhlstädt-Kirchhasel: Arun-Verlag, 2005.
9. Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums Band 1, Die Frühzeit: Von den Ursprüngen im Alten Testament bis zum Tod des hl. Augustinus (430), S. 184, 6. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006.
10. Jannis Papajohanu: Psomiadis bei der Einweihung des Tempels der zwölf Götter, vom 17. August 2010, in: Press (Politik). URL: http://press-gr.blogspot.de/2010/08/blog-post_613.html (zuletzt abgerufen am 04.04.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
11. YSEE: Welche Haltung habt ihr zu den Theorien über die «Gruppe E(psilon)»?, in: YSEE (Häufig gestellte Fragen), URL: http://www.ysee.gr/index.php?type=d&f=faq#9 (zuletzt abgerufen am 04.04.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
12. Vlassis G. Rassias: Über die Tatsache, dass das Wort «Betrüger», den Buchstaben E(psilon) enthält, in: Rassias (Artikel, News, Veranstaltungen). URL: http://rassias.gr/9008.html (zuletzt abgerufen am 29. Januar 2011). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
13. FalseFaith: Die tragisch-komischen Taktiken der Apologeten von OODE, in: FalseFaith: Wissen macht frei (Januar 2009). URL: http://falsefaith.blogspot.com/2009/01/blog-post_15.html (zuletzt abgerufen am 24.02.2011). Beitrag vom Donnerstag, den 15.01.2009. Ursprüngliche Quelle: http://ethnikoi.org/metallinosboys.htm. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
14. YSEE: Are you Pagans?, in: YSEE (Frequently asked questions about the Ethnic Hellenic religion and tradition: Theological and Cosmological matters), URL: http://www.ysee.gr/index-eng.php?type=english&f=faq#24 (zuletzt abgerufen am 04.04.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
15. Ingvar: Odinism And The Occult, in: Odinism Today, Ausgabe Nr. 17, Frühling 1995.
16. Janet Farrar, Gavin Bone: Progressive Witchcraft: Neue Ideen für den Hexenkult, S. 50, 1. Aufl., Uhlstädt-Kirchhasel: Arun-Verlag, 2005.
17. Der Vergleich mit den nordamerikanischen Ureinwohnern ist im Hellenismos keine Seltenheit. Der Widerstand der First Nations hat viele ethnische Hellenen inspiriert.
18. Ethnisches Hellenentum: die Kultur, Identität und das Wesen der antiken Griechen und polytheistischen Griechen (→ ethnischen Hellenen) der nachchristlichen Zeit. Die Kultur, die von den Griechen selbst stammt. Das «Hellenentum» ist die deutsche Übersetzung für das griechische Wort «Hellenismos».
19. «Ελληνισμός: of the Greeks, Hellenism […]. II. use of a pure Greek style and idiom […].», Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English Lexicon, S. 536, 9. Aufl., New York: Oxford University Press, 1996.
20. Marion Giebel: Kaiser Julian Apostata: Die Wiederkehr der alten Götter, S. 8, Düsseldorf: Patmos, 2006.
21. Temple of the Greek Gods: Info, in: Temple of the Greek Gods (Facebook: Beschreibung). URL: https://www.facebook.com/templeofthegreekgods/info (zuletzt abgerufen am 04.05.2013).
22. Rainer Funk (Hg.): Einleitung: Das Leben selbst ist eine Kunst, in: Erich Fromm: Die Antwort der Liebe: Die Kunst des richtigen Lebens, S. 9, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau: Verlag Herder, 2003.
23. Vlassis G. Rassias: Barbarische (Fehl)Interpretationen der
hellenischen ethnischen Religion, in: Rassias (Artikel, Interviews, Veranstaltungen). URL: http://www.rassias.gr/1022.html (zuletzt abgerufen am 05.05.2013). Zitat aus einer Rede von Vlassis G. Rassias, gehalten auf der Veranstaltung «Das Wiederaufleben der altgriechischen Religion», am 01.06.2002 in der «Halle des Logos» in Athen. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
24. Galater 4,8-11:8
25. 1. Korinther 10,20-21
26. Dion Fortune: Selbstverteidigung mit PSI: Sicherheit und Schutz durch geistige Kraft, S. 107, 7. Aufl., München: Ansata Verlag, 2004.
27. Dion Fortune, ebd., S. 145
28. Dolores Ashcroft-Nowicki: Magische Rituale: Ein praktischer Lehrgang, S. 74, 5. Aufl., Freiburg: Hermann Bauer, 2000.
29. Paul Veyne: Die griechisch-römische Religion: Kult, Frömmigkeit und Moral, S. 18-19, Stuttgart: Reclam Verlag, 2008.
30. Dolores Ashcroft-Nowicki: a.a.O., S. 74
31. Dolores Ashcroft-Nowicki: ebd., S. 107
32. Starhawk: Der Hexenkult als Ur-Religion der großen Göttin: Magische Übungen, Rituale und Anrufungen, S. 134-135, 2. Aufl., Freiburg: Hermann Bauer Verlag, 1985.
33. Vivianne Crowley: Phoenix aus der Flamme: Heidnische Spiritualität in der westlichen Welt, S. 111, deutsche Erstausgabe, Bad Ischl: Edition Ananael, 1995.
34. Scott Cunningham: Wicca: Einführung in die Spiritualität und Praxis der neuen Hexenkunst, S. 24, 1. Aufl., Berlin: Ullstein Verlag, 2005.
35. Ellen Cannon Reed: The Heart of Wicca: Wise Words from a Crone on the Path, S. 71, York Beach: Samuel Weiser, Inc., 2000.
36. Ellen Cannon Reed, ebd.
37. Dolores Ashcroft-Nowicki: a.a.O., S. 132
38. Dolores Ashcroft-Nowicki: ebd., S. 329
39. Eliphas Levi: Transzendentale Magie: Dogma und Ritual, S. 45, 2. Aufl. der Neuausgabe, München: Ansata-Verlag, 2002.
40. Eliphas Levi: ebd., S. 27
41. Paul Veyne: a.a.O., S. 27
42. James H. Brennan: Experimentelle Magie: Einführung und Praxis, S. 125, Basel: Sphinx, 1985.
43. Phyllis Curott: Spirituelle Magie: Die hohe Kunst der Heiler und Hexen, S. 261-262, 2. Aufl., München: Heyne Verlag, 2005.
44. Janet Farrar, Gavin Bone: Progressive Witchcraft: Neue Ideen für den Hexenkult, S. 80, 1. Aufl., Uhlstädt-Kirchhasel: Arun-Verlag, 2005.
45. Janet Farrar, Gavin Bone: ebd., S. 80, 82, 189 und 195
46. Martin P. Nilsson: Griechischer Glaube, S. 27, Bern: A. Francke Verlag, 1950.
47. Vivianne Crowley: Phoenix aus der Flamme: Heidnische Spiritualität in der westlichen Welt, S. 17, deutsche Erstausgabe, Bad Ischl: Edition Ananael, 1995.
48. James H. Brennan: Experimentelle Magie: Einführung und Praxis, S. 78, Basel: Sphinx, 1985.
49. Vivianne Crowley: Wicca: Die alte Religion im neuen Zeitalter, S. 41-42, 3. Aufl., Bad Ischl: Edition Ananael, 2004.
50. Vivianne Crowley: Phoenix aus der Flamme: Heidnische Spiritualität in der westlichen Welt, S. 24, deutsche Erstausgabe, Bad Ischl: Edition Ananael, 1995.
51. Vivianne Crowley: ebd., S. 17
52. Vivianne Crowley: Wicca: Die alte Religion im neuen Zeitalter, S. 26. 3. Aufl., Bad Ischl: Edition Ananael, 2004.
53. Jörg Dittmer: Merkmale der Griechischen Religion, S. 2, in: Chairete (Griechisch: Sonstiges: 1. Allgemeines). URL: http://www.chairete.de/Beitrag/Griechisch/merkmale_der_griech._religi.pdf (zuletzt abgerufen am 17.06.2011).
54. Paul Veyne: a.a.O., S. 163
55. Stilian Ariston: Der Philosoph im Auftrag Apollons, vom 26.03.2013, in: Hellenismos (Philosophie). URL: https://hellenismos.org/2013/03/26/der-philosoph-im-auftrag-apollons-sokrates-war-ein-polytheist/ (zuletzt abgerufen am 17.04.2020).
56. Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1, S. 435-436, Berlin: Verlag Ernst Siegfried Mittler und Sohn, 1904.
57. Vivianne Crowley: a.a.O., S. 29
58. Martin P. Nilsson: a.a.O., S. 59
59. Paul Veyne: a.a.O., S. 37. Quelle des Zitats: J. Scheid: Religion romaine et spiritualité, in: Archiv für Religionsgeschichte 5, S. 197-209, bes. 204, 2003.
60. Evangelos Voulgarakis: Mary, Athena and Guanyin: What the Church, the Demos and the Sangha can teach us about religious pluralism and doctrinal conformity to socio-cultural standards, in: Bei Dawei, Derrick M. Nault, Evangelos Voulgarakis: Experiencing Globalization: Religion in Contemporary Contexts (Key Issues in Modern Sociology), S. 94, London/New York: Anthem Press, 2013.
61. Martin P. Nilsson: a.a.O., S. 13
62. Walter Burkert: Greek Religion: Archaic and Classical, S. 7, Malden/Oxford: Blackwell Publishing Ltd./Harvard University Press, 1985.
63. Silver Ravenwolf: Das Zauberbuch der Freien Hexe: Übung & Meisterschaft, S. 244-245, 1. Aufl., Berlin: Ullstein Verlag, 2004.
64. YSEE: Moderne «Liebesgeschichten», in: YSEE (Liebesgeschichten). URL: http://www.ysee.gr/index.php?type=d&f=love&lid=l4 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
65. YSEE: Ξυλοδαρμός γνωστού ζευγαριού στον αρχαιολατρικό χώρο, in: YSEE (Pressemitteilungen). URL: https://ysee.gr/211.html (zuletzt abgerufen am 21.09.2019). Pressemitteilung Nr. 211, 04.12.2008. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
66. YSEE: Moderne «Liebesgeschichten», in: YSEE (Liebesgeschichten). URL: http://www.ysee.gr/index.php?type=d&f=love&lid=l4 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
67. Harald Heppner (Hg.): Hauptstädte zwischen Save, Bosporus und Dnjepr: Geschichte– Funktion– nationale Symbolkraft, S. 86-87, Wien; Köln; Weimar: Böhlau-Verlag, 1998.
68. Scott Cunningham: Wicca: Einführung in die Spiritualität und Praxis der neuen Hexenkunst, S. 25, 1. Aufl., Berlin: Ullstein Verlag, 2005.
69. Paul Veyne: a.a.O., S. 16
70. Paul Veyne: ebd.
71. Sallustios, Vlassis G. Rassias (Übers. u. Hg.): Περί Θεών και Κόσμου, S. 39, Athen: Anichti Poli, 2002.
72. Sallustios: ebd., S. 36
73. 14. Herodot, A. Horneffer (Übers.): Historien, S. 132, 4. Aufl., Stuttgart: Kröner Verlag, 1971.
74. Diese Prozesse werden bei Nilssons «Griechischer Glaube» gut, aber m.M.n. nicht ganz wertneutral geschildert.
75. Scott Cunningham: Handbuch der Natur- und Elementarmagie Teil 1, S. 25, 1. Aufl., Uhlstädt-Kirchhasel: Arun-Verlag, 2004.
76. Walter Friedrich Otto: Theophania: Der Geist der altgriechischen Religion, S. 76, Hamburg: Rowohlt, 1956.
77. Walter Friedrich Otto: ebd.
78. Sallustios: a.a.O., S. 21
79. Vlassis G. Rassias: Θύραθεν: Φιλοσοφικό Λεξικό, S. 91, 1. Aufl., Athen: Anichti Poli, 2006.
80. Wesen, in: Duden Online (zuletzt abgerufen am 04.04.2013). Wesen: «aus dem Althochdeutschen wesan = Sein». Hat etwa die gleiche Bedeutung wie das griechische Wort «Όντα» (pl. «Wesen»).
81. Martin P. Nilsson: a.a.O., S. 109
82. Timothy Jay Alexander: Interview mit dem «Ideon Antron», veröffentlicht am 13. Januar 2011, in: Hellenismos (Artikel, Kategorie: Hellenismos). URL: http://hellenismos.us/b/2011/01/interview-in-ideon-antron/ (zuletzt abgerufen am 15.04.2011). Quelle: Griechische Online-Zeitschrift «Ideon Antron».
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84. YSEE: Wojciech Jan Rudny interviews a constitutional member of the Supreme Council of the Ethnikoi Hellenes, in: YSEE (Articles). URL: http://www.ysee.gr/index-eng.php?type=english&f=rozmowa_en (zuletzt abgerufen am 07.05.2013).
85. FalseFaith: Die tragisch-komischen Taktiken der Apologeten des OODE, in: FalseFaith: Wissen macht frei (Januar 2009). URL: http://falsefaith.blogspot.com/2009/01/blog-post_15.html (zuletzt abgerufen am 24.02.2011). Beitrag vom Donnerstag, den 15. Januar 2009. Quelle: http://ethnikoi.org/metallinosboys.htm. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
86. FalseFaith: Wer steuert die «Apologeten»?, in: FalseFaith: Wissen macht frei (Januar 2009). URL: http://falsefaith.blogspot.com/2009/01/blog-post_09.html (zuletzt abgerufen am 24.02.2011). Beitrag vom Freitag, den 09. Januar 2009. Quelle: http://ethnikoi.org/metallinosboys.htm. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
87. Vlassis Rassias: Lieber Jannakis… Ein offener Brief an den Herausgeber des «Apollonischen Lichtes», in: Rassias (Artikel, News, Veranstaltungen). URL: http://www.rassias.gr/1015.html (zuletzt abgerufen am 12.03. 2011). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
88. Diipetes: Antwort auf das Schreiben der Organisation «Goldene Morgenröte», in: Diipetes.YSEE (Ausgewählte Themen). URL: http://diipetes.ysee.gr/html/dx_30.html (zuletzt abgerufen am 14.05.2012). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
89. YSEE: Seid ihr «Paganisten»?, in: YSEE (Häufige Fragen). URL: http://www.ysee.gr/index.php?type=d&f=faq#24 (zuletzt abgerufen am 07.05.»2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
90. Ioannis Fourakis: Fourakis im Interview mit Pantelis Giannoulakis, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=71:-strange–2&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013), Quelle: Strange, Ausgabe Nr. 17, November 1999. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
91. ebd.
92. Apostolos Lakasas: Church of Greece split over role of neofascist Golden Dawn party, vom 08. November 2012, in: Ekathimerini (News). URL: http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite1_1_08/11/2012_469127 (zuletzt abgerufen am 29.12.2012).
93. Ioannis Fourakis: a.a.O.
94. Ioannis Fourakis: Pyr-ätherisches Interview, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=70:-strange—1&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
95. Ioannis Fourakis: Interview mit dem Magazin Strange, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=72:-strange–1&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013), Quelle: Strange, Ausgabe Nr. 1, Juni 1998. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
96. Stelios Fanos: Die Gruppe «Epsilon» und die Entwürdigung Griechenlands und seiner Geschichte, in: aktines.blogspot (Juli 2012). URL: http://aktines.blogspot.com/2012/07/h_17.html (zuletzt abgerufen am 13. April 2011). Auszug aus dem Buch von Stelios Fanos: Οδηγός των βιβλίων για την αρχαία Ελλάδα, Band 2. S. 584-599, Kinisi Ideon Verlag, Athen 2005, ISBN: 960-90612-3-0, Sprache: Griechisch. Quelle des Artikels: «Ardin», Ausgabe Nr. 52, S. 27-33, Januar-März 2005, Sprache: Griechisch.
97. Ioannis Fourakis: Pyr-ätherisches Interview, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=70:-strange—1&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
98. Vlassis G. Rassias: Die Regierungsform unseres Landes ist die repräsentative Theokratie, vom 8. September 2013, in: telxinis.blogspot (September 2013). URL: http://telxinis.blogspot.com/2013/09/blog-post_8.html (zuletzt abgerufen am 17. April 2020). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
99. Ioannis Fourakis: Pyr-ätherisches Interview, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=63:2010-01-30-13-00-25&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013), Quelle: Apollonio Fos. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
100. Ioannis Fourakis: Die Juden: (Ver)Fälscher der griechischen Geschichte, in: Fourakis (Bücher). Stand: 09. August 2011. URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=59:2010-01-30-12-19-08&catid=35:2010-01-30-03-22-28&Itemid=29 (zuletzt abgerufen am 09. August 2011). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
101. Ioannis Fourakis: Der erste Konflikt zwischen Griechen und Juden, in: Fourakis (Bücher). Stand: 09. August 2011. URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=51:2010-01-30-11-56-50&catid=35:2010-01-30-03-22-28&Itemid=29 (zuletzt abgerufen am 09. August 2011). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
102. Ioannis Fourakis: Ioannis Fourakis im Interview mit Pantelis Giannoulakis: Die Rückkehr der Götter, der Antichrist, die Hyperchthonischen, in: Fourakis (Interviews). URL: http://www.fourakis.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=73:—-61&catid=36:2010-01-30-03-22-39&Itemid=18 (zuletzt abgerufen am 09. August 2011). Quelle: Trito Mati, Ausgabe Nr. 61., April 1997. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
103. Der Betrug und die Lügen der Neuheiden!, in: YouTube, Kanal: grekos1940. Stand: 09. August 2011. URL: http://www.youtube.com/watch?v=OfrH6jPZnE8 (zuletzt abgerufen am 09. August 2011). Ioannis Fourakis‘ letzte Rede vom 24. September 2010. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
104. Orphische Theologie: Der Monotheismus der Hellenen, in: YouTube, Kanal: balanthsberoia (Upload: 02.12.2011). URL: http://www.youtube.com/watch?v=nT4Nk-hJrsc (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
105. Stilian Ariston: Die Unterschiede zwischen Polytheismus und Monotheismus, in: Hellenismos (Ethnismus allgemein). URL: https://hellenismos.org/2013/03/29/die-unterschiede-zwischen-polytheismus-und-monotheismus/ (zuletzt abgerufen am 17.04.2020).
106. A. Papapostolou: A Greek Bishop Blames Jews for Greece’s Problems, vom 23.12.2010, in: Greece.Greek.Reporter: News. URL: http://greece.greekreporter.com/2010/12/23/a-greek-bishop-blames-jews-for-greece%E2%80%99s-problems/ (zuletzt abgerufen am 07.05.2013).
107. National Journal: Hoher Kirchenführer prangert im Fernsehen ‹jüdischen Weltverschwörungsplan› an, vom 01.01.2011, in: National Journal (Globalismus 2011). URL: http://globalfire.tv/nj/11de/globalismus/metropolit_juedische_weltverschwoerung.htm (zuletzt abgerufen am 07.05.2013).
108. Israswiss: Der Geist der Hellenen, in: israswiss (Community: Themen: D). URL: http://www.israswiss.net/shalom/lechaim/brennpunkt/53882196d2116c51b.html (zuletzt abgerufen am 29. April 2011).
109. Metropolit Seraphim von Piräus: Die Politiker der Goldenen Morgenröte sind Neuheiden, vom 23.04.2013, in: Enikos (Gesellschaft). URL: http://www.enikos.gr/society/139382,Serafeim:Einai_neopaganistes_sthn_Xrysh_.html (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
110. Euromedianews: Greek-Orthodox Church blessed Greek nationalists, vom 27. Juni 2012, in: Euromedianews (Juni »2012«). URL: http://euromedianews.wordpress.com/2012/06/27/greek-orthodox-church-blessed-greek-nationalists/ (zuletzt abgerufen am 28. November 2012).
111. Zitiert nach Paul Veyne: a.a.O, S. 89
112. Martin P. Nilsson: a.a.O., S. 63
113. Jeanne Ruland: Das große Buch der Engel: Namen, Geschichte(n) und Rituale, S. 260, 6. Aufl., Darmstadt: Schirner Verlag, 2006.
114. Ruland: ebd., S. 291
115. YSEE: Welche Haltung habt ihr zu den Theorien über die «Gruppe E(psilon)»?, in: YSEE (Häufige Fragen). URL: http://www.ysee.gr/index.php?type=d&f=faq#9 (zuletzt abgerufen am 07.05.2013). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
116. Vlassis G. Rassias: Über die Tatsache, dass das Wort «Betrüger», den Buchstaben E(psilon) enthält, in: Rassias (Artikel, News, Veranstaltungen). URL: http://rassias.gr/9008.html (zuletzt abgerufen am 29. Januar 2011). Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
117. Pavlos Tzermias: Neugriechische Geschichte: Eine Einführung, S. 34, 3. überarb. u. erw. Aufl., Tübingen: Francke Verlag, 1999.
118. Stephanos Mytilinaios: Der geheime «Attische Bund» der Griechen (Mittelalter – Renaissance), in: Logos Hellenikos: Geschichte, Philosophie, Orthos Logos (Stratioti). URL: http://logosellin.blogspot.de/2013/04/blog-post_5.html (zuletzt abgerufen am 05.04.2013). Hauptquelle des Artikels: Konstantinos Sathas: Mittelalterliche Bibliothek, Band 7, Venedig 1894. Originalsprache: Griechisch (Titel und ausgesuchte Textstellen wurden von mir ins Deutsche übersetzt).
119. Kleitos Ioannides und Vlassis G. Rassias (Gäste): Tolmo (Fernsehsendung), 17.02.2006, Nikosia: Sigma Channel.
120. Im Hellenismos wird die «Tradition» nicht mit der Folklore gleichgesetzt, sondern als die Generationenkette verstanden, die die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet. Mit «Tradition» ist hier immer eine lebendige Gegenwart gemeint, nicht die photographische Reproduktion einer undefinierten «Antike». Das Weitergegebene (paradosi, Tradition) beschränkt sich nicht nur auf die Sprache oder das Wertesystem, sondern umfasst die Erfahrung, die eine Gruppe von Menschen über mehrere Generationen hinweg gemacht haben, das Wissen über die Umwelt, das Klima, die Tiere und Pflanzen der näheren Umgebung und dergleichen mehr.